Gesammelte Werke
Branche macht. Der eingefrorenen Alternative hat er nicht pariert; hat bewiesen, daß heute noch die Spontaneität eines Einzelnen gesellschaftlich Unmögliches ermöglichen kann. Das Modell, das er damit aufrichtete, überragt weit alles Einzelne, das selbst er vollbrachte. Gesichert durch den Bestand einiger großen Autorennamen hat er in kalkuliertem Risiko anderen, verlegerisch Exponierten ihre Autorität erwirkt durch Einsatz der eigenen. So dem Werk von Benjamin, das er nach abenteuerreicher Vorgeschichte so publizierte, daß es aus der deutschen Philosophie nicht mehr getilgt werden kann. Auch von dem Unstern, der über den früheren Versuchen stand, Proust in Deutschland durchzusetzen, hat er sich nicht abschrecken lassen, und es ist ihm gelungen.
Am 28. März wurde er achtundsechzig Jahre alt. Er bat die erreichbaren Freunde zu sich, um Abschied zu nehmen. Obwohl die Ärzte ihr Verdikt bereits gesprochen hatten, schien er kein dem Tod Verfallener. Zwar sprach er von furchtbaren Ängsten, wie sie wohl den Chthonischen am Ende ergreifen. Sie hefteten sich vor allem an das helle, angenehme Zimmer, in dem er kaum mehr atmen konnte, aber er berichtete auch, höchst detachiert wie von etwas Bemerkenswertem, daß er sich fühle, wie wenn er lebendig in ein Bild eingelassen wäre und doch er selber. Doch schien er die Versicherung, er sei überm Berg, zu glauben, diskutierte sogar Pläne, darunter einen, der sich auf seine Übersiedlung in ein ihm vertrautes Sanatorium bezog. Wir tranken noch zusammen. Plötzlich, nach vielleicht einer Viertelstunde, bat er uns, unter freundlichen Entschuldigungen, zu gehen. Dann überflutete ihn Güte. Das letzte, was wir von ihm hörten: »Es war gut, euch noch einmal gesehen zu haben.« So klar war er, daß die quälende Krankheit als ein ihm durchaus Äußerliches erschien, das kaum mit ihm selber zu tun hatte. Unvorstellbar, daß er, an den der eigene Tod nicht heranreichte und der ihn in seinen Geist noch aufnahm, nicht mehr da sein soll. Daß man aber den Tod des gänzlich Bewußten nicht nachzuvollziehen vermag, sagt wohl, daß man überhaupt nicht den eines sehr nahen Menschen realisieren kann. Nichts anderes ist Treue.
1959
Zum 11. Oktober 1959
Lassen Sie mich in Ihrem Kreis ein paar Worte zum Gedächtnis von Peter Suhrkamp sagen. An dem Tag, den er mit Ihnen, den Buchhändlern, verbrachte, war ich stets eingeladen, und ich habe bei diesen Gelegenheiten einen Kontakt gewonnen, der uns Autoren vielfach abgeht; Kontakt mit Ihnen, die, was wir uns aushecken, in die Hände der Menschen bringen, in die derer, die es wollen, und derer – das ist für uns beinahe wichtiger –, die es nicht wollen. An diesen Zusammenkünften hat unser gestorbener Freund große Freude gehabt; sie machten ihm aber auch, wie ich Ihnen heute verraten darf, physisch die größte Mühe; er fand es schon seit Jahren fast unmöglich, inmitten des Rauchs zu atmen. Wir haben uns dann regelmäßig in irgendein Zimmerchen zurückgezogen und einen Kognak, oder mehrere, miteinander getrunken. Das Opfer, das der Schwerkranke auf sich nahm, um mit Ihnen zusammensein zu können, mag Ihnen beweisen, wie sehr er sich mit Ihrem Kreis verbunden fühlte, weit über das bloße Geschäftsinteresse hinaus. Ich zweifle nicht daran, daß auch Sie alle an dem Toten etwas gespürt haben, was anders war und mehr als die praktischen Interessen. Er hat in Ihnen die geistigen Menschen gesucht, und gefunden.
Der Beruf des Buchhändlers hat ja etwas Paradoxes: das als Ware zu vertreiben, was, als Geist, der sich nicht einfügt, es nicht ist, und es doch ist. Nur als geistige Menschen sind Sie zu dieser Paradoxie befähigt. Auch die Autoren haben an ihr teil, die ja beides in eins sind, nach Benjamins Wort: Produzenten, nämlich für den Markt, und solche, die versuchen, ohne Konzession auszudrücken, wozu sie sich bestimmt fühlen. In dem Verleger Suhrkamp nun, der zwischen Ihnen und uns Autoren stand, hat diese Paradoxie zum Äußersten sich verdichtet. Er wollte den Erfolg auf dem Markt nicht durch Anpassung an ihn sondern durch Widerstand; und anders ist wohl heute eine menschenwürdige Beziehung zwischen dem Geist und dem Konsum überhaupt nicht vorzustellen. Er wußte sehr wohl, daß der Schornstein rauchen muß, aber der Rauch war ihm lieber als der Schornstein. Mit einem Realitätssinn ohnegleichen hat er die Chancen dessen wahrgenommen, was keine Chancen hat; mit einem Starrsinn, den nur der recht zu
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