Gesammelte Werke
wieder eine Generation später Rabbi Israel von Rischin jene Tat zu vollbringen hatte, da setzte er sich in seinem Schloß auf seinen goldenen Stuhl und sagte: ›Wir können kein Feuer machen, wir können keine Gebete sprechen, wir kennen auch den Ort nicht mehr, aber wir können die Geschichte davon erzählen.‹ Und – so fügt der Erzähler hinzu – seine Erzählung allein hatte dieselbe Wirkung wie die Taten der drei anderen.« 1
Es ist, als erhoffte Scholems Denken, indem es das Bilderverbot noch auf die Hoffnung, und auf sie vorab, ausdehnt, das Rettende sich allein in äußerster Distanz von jenem Ursprung, der einzig als Ziel vorzustellen bleibt. Medium solcher Bewegung war für Scholem das Judentum; darum wurde er Zionist und zog früh die ganze Konsequenz daraus. Jener Einzug von Mystik in die Profanität jedoch, den ich aus Unkenntnis vor Dezennien gegen Scholem glaubte urgieren zu müssen, berührt sich in dessen Interessenrichtung merkwürdig mit antinomistischen Konzeptionen der Kabbala. Scholem wird denn auch angezogen von der Nachtgeschichte der Juden, im Gegensatz zu all dem, wofür die Philosophie des Maimonides exemplarisch ist; vielmehr von dem, was den Haß und den Verfolgungswahn der anderen auf sich zog und was innerhalb des Judentums selbst von Orthodoxen wie von Liberalen eifernd verketzert ward. Dem universalen jüdischen Gelehrten, dem Denker des Judentums tut kein Unrecht an, wer ihn in Beziehung setzt zu einer mystischen Lehre des Christentums, die dort nicht minder anathema ist, aber in der Ostkirche, schließlich in der großen russischen Literatur den mächtigsten Einfluß ausübte: zu der von der Apokatastasis, von der endlichen Erlösung auch der absolut Bösen. Die geschichtliche Figur, die Scholem entwirft, ist die eines Messianismus, der um des Namens willen kaum nur den Namen mehr nennt; einem Äußersten sinnt er nach in äußerster Sprödigkeit gegen das, worum es ihm geht.
Scholems würdig ist die Paradoxie seiner Wirkung: heute, da er siebzig Jahre alt wird, hat der Ordinarius der Universität Jerusalem bei allen Menschen, denen nicht nur am Geist des Judentums sondern am Überleben der Juden selbst etwas gelegen ist, die Autorität des Weisen gewonnen. Großartig widerspricht sie dem antiautoritären Zug seines Lebens und des von ihm Interpretierten. Seine Nüchternheit gewinnt heilsame Kraft, nicht nur gegen ideologisches Pathos sondern auch in einer Realität, in der nach wie vor die Juden, unter den schmählichsten Vorwänden, mit Vernichtung bedroht werden. Am Ende ist es Scholems Gewalt, daß er nicht apologetisch die Kräfte der Vernichtung, drinnen und draußen, verleugnete, sondern daß er ihnen seine Erkenntnis vorbehaltlos öffnete, mit einem Mut, den nur die Allerstärksten aufbringen. Wie kein Zweiter hat er die Würde der Idee des mystischen Nihilismus hergestellt.
Vor einiger Zeit träumte ich einen Traum, der mir keine schlechte Parabel scheint für Scholem, dem ich mit unzulänglichen Worten ein langes und glückvolles Leben wünsche. Er hätte mir erzählt: »Es gibt eine alte nordische Sage, in der ein Ritter ein Mädchen über eine seidene Strickleiter entführt; daran schließen allerhand Schwierigkeiten sich an. Diese Sage liegt dem deutschen Volkslied ›Fuchs du hast die Gans gestohlen‹ zugrunde.«
Fußnoten
1 Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a.M. 1967, S. 384.
Peter Suhrkamp
Dank an Peter Suhrkamp
Etwas vom Inkommensurablen des Menschen Suhrkamp, von jenem äußerst Bestimmten, das doch schamhaft und widerborstig vor seiner Benennung zurückzuckt, läßt an seinem Werk sich entnehmen. Das war durch keine Schule oder literarische Richtung definiert und dennoch weitab von der Zufälligkeit einer Erfolgschancen zusammenraffenden Verlagspolitik. Erst recht reicht der erbärmlich wichtigtuerische Begriff des Niveaus nicht aus zu bezeichnen, was diese Produktion in der glücklichen Hand zusammenbrachte. Am ehesten war es die Kraft zarten, unausgesprochenen Widerstandes gegen den in allen Ländern und Zonen sich gleichschaltenden, nach Kommunikation begierigen Geist. Was nicht mitspielte, spürte er als Gemeinsames im Unvereinbaren auf, noch in Schröder und Brecht. Der zum unwägbaren Lächeln sublimierte Widerspruchsgeist war aber Suhrkamps eigener Gestus, in jedem Augenblick des Weltlaufs und seines Grauens eingedenk, in keinem willens, davor zu kapitulieren. So tief war das zu
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