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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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völlig ausgeschlossen, daß der bloße Versuch, der ihn mit derartigen Dingen in Zusammenhang bringt, den Charakter des Lächerlichen trägt. Ich bin in dieser Überzeugung durch meine gründliche, wiederholte Lektüre des Dramas »Hochzeit« bestärkt worden. Das vor mehr als dreißig Jahren entstandene Stück, das allein schon als ein literarhistorisches Mittelglied zwischen dem damals abgeklungenen deutschen Expressionismus und dem gegenwärtigen sogenannten absurden Theater größtes Interesse verdient, ist, wenn irgendetwas anderes als ein reines Kunstwerk, dann von einer fast moralisierenden, im übrigen gänzlich unzweideutig hervortretenden Absicht. Der Inhalt der Handlung ist eine Hochzeitsfeier, in der nicht nur die Personen in offenbarem Widerspruch zu ihren offiziellen Gefühlen handeln, sondern von Gier, der nach Eigentum (einem Haus) und der sexuellen, die weder eine Schwachsinnige noch ein Kind respektiert, blind beherrscht werden. Das Treiben zwischen ihnen wird als ein Pandämonium vorgestellt, das gleichsam von innen her nach außen Gestalt gewinnt in dem physischen Zusammenbruch des Hauses, das alle in den Schuldzusammenhang Verstrickten unter sich begräbt. Gerade auf den sogenannten naiven Zuschauer, an den ja bei derlei Beschwerden gedacht wird, kann das Stück schlechterdings keinen anderen Eindruck hervorrufen als den, daß über eine Art Sodom und Gomorrha ein Strafgericht ergeht. Es finden sich auch nicht die entferntesten Züge, die auf eine Identifikation, sei's des Autors, sei's der Zuschauer, mit den dargestellten Vorgängen hindeuten; diese sind in den abschreckendsten Farben gehalten. Selbstverständlich muß das auch in der Aufführung unmißverständlich sich gezeigt haben. Wer an diesem Stück Ärgernis genommen hat, der muß schon gekommen sein, um Ärgernis zu nehmen.
    In diesem Zusammenhang mögen einige Worte über den Brief des anonymen Denunzianten angemessen sein. Mit der Unterstellung, daß eine Kulturdiktatur – im Sinn der Moderne – bei uns herrsche, während doch gerade künstlerisch nicht konformistische Stücke immer wieder der Diffamierung begegnen, läßt er jenen Projektionsmechanismus erkennen, der für Rechtsradikale, für autoritätsgebundene Persönlichkeiten so überaus bezeichnend ist. Ebenso ist die Unterstellung, daß der Denunziant, wenn er seinen Namen nennte, »Repressalien« zu befürchten hätte, die seine »körperliche Integrität unmittelbar gefährden könnten«, eine unverkennbare Verkehrung des Sachverhalts. Repressalien haben im allgemeinen Menschen zu befürchten, die den konventionellen Anschauungen zuwider handeln, so wie jüngst Grass oder Silex, zu schweigen von den Düsseldorfer Bücherverbrennungen. Wer sich so verhält wie der Anonymus, wird des Beifalls gerade derer sicher sein, die zum Terrorismus neigen. Dieser Zusammenhang verweist auf den Kern der Angelegenheit: hier geht es, mit der Moral als nichtigem Vorwand (weil nämlich keinerlei Verletzung der Moral, nicht einmal der konventionellen, vorliegt), in Wahrheit um die moderne Kunst. Wem es mit dem Grundgesetz ernst ist, das die Freiheit der Kunst ausdrücklich garantiert, müßte mit aller Energie derartigen Versuchen widerstehen. Es wäre ein unerträglicher Zustand, wenn in kleineren deutschen Städten in ästhetischen Fragen Grundsätze proklamiert würden, die, als zurückgeblieben und unwahrhaftig durchschaut, in großen Städten zwar keine Repressalien, aber Gelächter provozieren müßten.
     
    1965
     
     
Fußnoten
    *
Nach der Uraufführung von Canettis »Hochzeit« am 3. 11. 1965 in Braunschweig erstattete ein Anonymus Strafanzeige »wegen Erregung geschlechtlichen Ärgernisses« gegen den Intendanten des Staatstheaters Braunschweig und gegen den Regisseur der Aufführung; Adorno wurde von der Dramaturgie des Theaters um eine Stellungnahme gebeten. – Der Wortlaut der Anzeige, auf den Adorno sich bezieht, findet sich in der »Neuen Braunschweiger« vom 12./13. 11. 1965 abgedruckt.
     

Gleichwohl
     
    In der Wochenzeitschrift »TV Hören und Sehen« vom 20. August 1966 stehen, aus Anlaß einer Stuttgarter Rundfunksendung, ein paar Sätze über García Lorca. Darüber könnte man sich, eben erst einigen »Klatsch und Musik« überschriebenen Spalten entronnen, in denen das Wort Texter nicht fehlt, freuen, wofern einem nicht die Freude durch die Nachbarschaft mit jenen Spalten verekelt wird. Dann aber liest man: »Obgleich Lorca sich nie aktiv politisch betätigte, war

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