Gesammelte Werke
seiner spirituellen Verhaltensweise geworden, daß es der Gesinnung spottete; ihrem Abgeschlossenen, dinghaft Fixierten hätte er mißtraut. Daß er gegen die Nationalsozialisten aushielt, war keine Sache von Moral, sondern eine von Charakter im genauesten Sinn: Idiosynkrasie, in seine Natur eingegraben. Er hätte schlechterdings nicht mitmachen können. Das verurteilte ihn zum Konzentrationslager, zur Zerstörung seiner Lunge, zu dem langen, mit klaglosem Unwillen wie eine Belästigung getragenen Siechtum. Er starb als eines der letzten Opfer.
Selten fehlt der Hinweis darauf, daß er ein oldenburgischer Bauer war. Er hat das weder verschwiegen, noch viel Wesens daraus gemacht; doch hätte er jederzeit den väterlichen Hof übernehmen und führen können. Aber wie sehr unterschied er sich von jenen, die aus ihrem Bauernblut ein Verdienst machen, für sich die Stimme des Ursprungs beanspruchen. Er hat von seiner Herkunft sich emanzipiert, sich standhaft losgemacht, ohne die leiseste Konzession an die Ideologie von Blut und Boden, auch nicht an die kulturkonservative der ›höheren Scholle‹, die jene überlebte. In einem schönen Prosastück, dessen Worte lange Strecken von Schweigen mitkomponieren, hat er die Unmöglichkeit der Rückkunft gestaltet. Das Element seines Wesens aber, das man, wenn man große Worte nicht scheut, das chthonische nennen könnte, bewährte sich gerade daran, daß er es stolz verschmähte, jemals, sei es auch mittelbar, darauf zu pochen. Seine Erscheinung strafte alle Stereotypen des Bäuerlichen Lügen: überschlank, von einer Fragilität, die in den letzten Jahren dem Bilde des Todes sich anähnelte, dabei mit abgründigen, steinern blauen Augen wie aus Brunnentiefe. So wie die wahrhaft Nordischen oft wohl gegen den Kult des Nordischen gefeit waren; wie Theodor Storm eine der schönsten Verteidigungen der Juden gegen den Antisemitismus schrieb, so mochte Suhrkamp vor den nationalsozialistischen Versuchungen bewahren, daß in ihm gegenwärtig war, was jene in ohnmächtiger Wut vergebens beschworen. Es überlebte in ihm kraft rückhaltloser Vergeistigung. Gewiß ist es fragwürdig, Eigenschaften aus der Gruppe zu erklären, der ein höchst individuierter Mensch angehört, aber die Erinnerung ans Dorf ließ sich im Umgang mit ihm nicht unterdrücken. War nicht das Mißtrauen, Ferment seines Qualitätssinns, das des Hufenbesitzers gegen windige Leute? Waren nicht der Eigensinn und die Hartnäckigkeit, die ihn schwierige Projekte über Jahre hin verfolgen ließen, gebildet nach dem Modell eines, der im Großrhythmus der Jahre und Generationen empfindet? Ländlich aber war vor allem seine oberste und irrationale Tugend. In einer bedeutenden Novelle von Annemarie Seidel ist er einmal in der leichten Verkleidung des Gärtners dargestellt worden. Er hatte, was in Amerika ein green thumb, ein grüner Daumen, heißt, der wachsen läßt, was er anfaßt. Durch dies hegende Vermögen verband er das Verschiedenste gleichwie zu einem Pflanzenteppich. In ihm wurde Kultur ihrer selbst als eines Naturverhältnisses inne; in seinem Umkreis verlor sie etwas von ihrer Gewaltsamkeit. Dies Versöhnliche hat der sonst heruntergekommenen Idee der Kultur noch einmal sich mitgeteilt, wo er ihr diente.
Er galt für verschlossen, aber er war es kaum im üblichen Sinn: gesellig, gastfrei, mit Freude am Trinken und am Gespräch. Noch als Schwerkranker konnte er, der nur mit äußerster Anstrengung zu einer Verabredung sich geschleppt hatte, über dem Erörterten die Krankheit vergessen; dann hustete er nicht einmal, und er verführte einen dazu, sich einzureden, es sei alles gar nicht so schlimm. Nie verlor seine Spiritualität das Gedächtnis ans sinnliche Glück: das behütete ihn vor der Inhumanität des Geistes. Tröstender Materialismus war seiner schwermütigen Skepsis beigemischt. Frauen gab er genau zu dem Augenblick, auf den es ankam, Blumen oder Pralinés. Nicht anders muß der Holsteiner Liliencron mit Mädchen umgegangen sein: »Und allerlei schenkt ich dem jungen Blut, natürlich zuerst einen neuen Hut.« Sonst ist den Intellektuellen das Schenken zum bloßen Symbol für Inwendiges geworden und darüber verblaßt, so daß sie es schließlich gern vergessen. Bei ihm aber streifte das Schenken noch, auf die subtilste Weise, die Armut des Beschenkten, etwas von der Bedürftigkeit des nackten Lebens. Der außerordentliche Reiz, den er auf Frauen ausübte, entsprang wohl in der Konstellation des
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