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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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lieben vermag, der weiß, welcher bedeutenden Intention er diente, hat er zu der Integrität des Werkes, im Widerspruch zu seiner Marktgängigkeit, gestanden. Es gab aber eine Qualität in ihm, in der solche Widersprüche sich versöhnen ließen. Das war die handwerkliche, die Sorge um die schöne, gediegene und sachgerechte Gestaltung der Bücher, die er herausbrachte. Ihre Form hat er jeweils, soweit es ihm nur möglich war, aus dem Buch selbst heraus zu entwickeln getrachtet. Das physisch, materiell Wohlgeratene seiner Bücher hat sicherlich nicht wenig zu ihrem Erfolg beigetragen. Mit Recht. Denn heute hat das Buch, gegenüber all den anderen Erscheinungsformen des Geistes, die sich Medien der Kommunikation nennen, für sich als Form, auch als innere, eben jenen Gedanken des handwerklich Dauernden anzumelden, der sonst in der Welt abstirbt. Er ist aber dem Buch nicht äußerlich, keine kunstgewerbliche Zutat, sondern ihm selbst wesentlich. In den Essays über Kunst von Valéry, die in der Bibliothek Suhrkamp gerade herausgekommen sind, findet sich eine Art ästhetischer Interpretation des graphischen Bildes von Büchern; und so gehört alles, was am Buch sinnliche Erscheinung ist, zur Sache selbst, die ja Wesen wird nur als erscheinende. Vom Verleger Suhrkamp ist ein Moment nicht wegzudenken, das ihn auch als Schriftsteller bezeichnet. Der Maßstab der Konkretion, eine leidenschaftliche Verfallenheit an den Stoff und seine Disziplin. Man könnte wohl darüber spekulieren, ob nicht eben diese schwer zu fassende Idee der Konkretion das ist, was die divergenten Autoren vereint, die Suhrkamp unter einen Hut zu bringen vermochte. Niemand aber hat mit solcher Konkretion mehr Tuchfühlung als Sie, die Sie die Bücher in Ihren Händen halten, sie nicht nur mit den Augen sondern mit dem Tastsinn kennen, die Konsistenz der Einbände, die Dauerhaftigkeit der Rückenschilder, die Qualität des Papiers prüfen. Kaum ein Verleger hätte mit Ihnen darin so gut und wortlos sich verstanden wie Suhrkamp. Von dieser zarten Sorge für den Stoff haben aber wir Schreibenden erst recht alles zu lernen. Wenn wir jetzt an den Toten denken, ohne den wir uns heute nicht zusammenfänden, so geschieht es im Namen jener Konkretion. Denn nirgendwo als in ihr hat die Utopie, welche der Geist meint, eine Zuflucht.
     

Über H. G. Adler
     
    Was mich an Adler am meisten beeindruckt, ist die Kraft, mit der er Bedingungen, die es schlechterdings unmöglich erscheinen ließen, sein Werk über Theresienstadt * abzwang. Es übersteigt das Maß des Vorstellbaren, daß ein zarter und sensibler Mensch seiner selbst geistig mächtig bleibt und zur Objektivation fähig in der organisierten Hölle, deren eingestandener Zweck die Zerstörung des Selbst, noch vor der physischen Vernichtung, ist. Solche Kraft ist von jeder krud vitalen, vom plumpen Selbsterhaltungswillen überaus verschieden. Vielleicht setzt sie sogar eben die Zartheit voraus, die, nach oberflächlicher Meinung, am ehesten erliegen müßte; ein Sensorium, dem Brutalität und Unrecht so unerträglich sind, daß es noch in extremis die Verpflichtung spürt, dort, wo nichts mehr sich ändern läßt, wenigstens das Gedächtnis zu bewahren, das Unsägliche zu sagen, und damit den Opfern die Treue zu halten. Es mag aber auch in Adler etwas vom jüdisch-brüderlichen Widerspruchsgeist zu einer Reaktionsform geworden sein, die sich weigert, das Unausweichliche zu akzeptieren, und aus dieser Weigerung das Vermögen zieht, nicht nur doch auszuweichen, sondern auch von dem zu zeugen, was ohne solchen Widerspruchsgeist wahrhaft total triumphierte. Die Konstellation des Zarten und des Resistenten ist bei Adler zum moralischen Agens, zur Kantischen ›Nötigung‹ geworden, und dafür gebührt ihm nicht nur die Dankbarkeit derer, für die er stellvertretend geschrieben hat, sondern auch die ungetrübte Bewunderung solcher, die glauben, daß sie es ihm darin nicht gleichtun könnten.
     
    1965
     
     
Fußnoten
    *
Vgl. H.G. Adler, Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Geschichte, Soziologie, Psychologie. Tübingen 1955.
     

Gegen den Muff *
     
    Auf Grund einer genauen Kenntnis des Werkes von Elias Canetti, und zwar des sehr bedeutenden wissenschaftlichen (»Masse und Macht«) ebenso wie des dichterischen (das Hauptwerk ist »Die Blendung«) halte ich jede lüsterne, auf Verletzung der Scham abzielende oder auf Geschäfte mit Obszönität gerichtete Absicht bei Canetti für so

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