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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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von der Landwirtschaft her, und seine eigenen geistigen Impulse zielen primär auf die Bewahrung des bäuerlichen Lebensstils ab. Um so größeres Gewicht mag daher haben, daß er durch die Konsequenz des objektiven Forschungsganges dazu gedrängt wird, jeglicher Bodenromantik abzusagen und die Frage nach der Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft unter den gegenwärtig herrschenden ökonomischen und sozialen Bedingungen so ernst aufzuwerfen, wie die Verhältnisse es notwendig machen.
     
    Januar 1952
     
     
    Karl-Guenther Grüneisen, Landbevölkerung im Kraftfeld der Stadt. Darmstadt 1952. (Gemeindestudie. Monographie 2.)
     
    Die Wissenschaft, die den Gegensatz von Stadt und Land erkennend durchdringen will, kann sich nicht damit begnügen, beide Bereiche, weil sie nun einmal divergieren, naiv voneinander zu trennen und isoliert zu behandeln. Anstatt sich an die Disziplinen städtischer und ländlicher Soziologie zu halten, muß sie vielmehr trachten, auch die spezifisch ländlichen Phänomene aus der Struktur des in sich antagonistischen Ganzen zu begreifen. Die ›Zurückgebliebenheit‹ des Landes ist kein bloßer Naturstand, den die Dynamik der städtischen Entwicklung hinter sich gelassen hätte, sondern selber in weitem Maße Funktion des totalen Lebensprozesses der Gesellschaft.
    Daß die Darmstädter Gemeindestudie die Beziehung zwischen Stadt und Dorf in den Kreis ihrer Untersuchungen hineinzog, hat wesentlich den Sinn, empirisch etwas zum Problem jenes umfassenden Funktionszusammenhangs beizutragen. Er besteht nicht bloß im ›Einfluß‹, den die Zentren auf die Dörfer ausüben, sondern ebenso auch in dem Widerstand, den das Dorf dagegen entwickelt, so daß einzelne Sektoren aus der Urbanisierungstendenz herausfallen. Die Monographien von Kötter und Teiwes beschreiben im einzelnen, wie sehr heute Städtisches früher rein agrarische Bereiche wirtschaftlich und soziologisch durchdringt. Die Umgestaltung der bäuerlichen Ökonomie hat neue Zwischentypen wie die Nebenerwerbsbetriebe und die Pendelarbeiter entstehen lassen.
    Solche Entwicklungen betreffen aber nicht bloß Wirtschaft und objektive gesellschaftliche Formen, sondern ebenso auch Denken und Verhalten der Menschen selber. Um dem Rechnung zu tragen, behandelt die Monographie von Grüneisen den subjektiven Aspekt der Beziehung von Stadt und Land, so wie er sich in den vier Dörfern darstellt, die von der Darmstädter Studie ausgewählt wurden. Gerade dieser Aspekt ist von größter Relevanz für das gesamtgesellschaftliche Verständnis. Es geht darum, wie es geistig in den stadtbestimmten Dorfbewohnern und solchen, die sich dem städtischen Geist entziehen, aussieht, und zwar keineswegs bloß den landwirtschaftlich Tätigen, sondern ebenso auch all denen, die in der Stadt arbeiten oder zuhause anderen als bäuerlichen Berufen nachgehen. Nirgends stoßen die objektiven Entwicklungstendenzen von Fortschritt und Rationalisierung mit der Angst vor Depossedierung heftiger zusammen als im Bewußtsein all dieser Gruppen. Die unausrottbare Lehre von der Statik des Ländlichen, wie sie sich etwa auf Riehl beruft, zehrt nicht zuletzt davon, daß die Beharrungstendenzen jenes Bewußtseins mit einer vorgeblichen Geschichtslosigkeit des objektiv Gegebenen, der bäuerlichen Produktionsweise verwechselt werden, die nicht existiert. Anstatt deren Trugbild aufzurichten, käme es darauf an, die Spannung stationären Denkens und dynamischer Verhältnisse zu bestimmen.
    Solche Fragen sind keineswegs, als ›bloß psychologische‹, für den Ökonomen gleichgültig. Von ihrer Beantwortung hängt etwa ab, ob die Rückständigkeit der wirtschaftlichen Produktionsmethoden auf dem Lande sich aus spezifisch ökonomischen Ursachen, wie zu hohen Gestehungskosten und mangelnder Rentabilität der Technifizierung bei kleinen ökonomischen Einheiten, erklärt, oder ob der Widerstand gegen die Technik tatsächlich ›irrationale‹ Gründe hat, von subjektiven Momenten herrührt. Diese Momente mögen ihrerseits in der Gesellschaft und der Dynamik ihrer Wirtschaft entspringen, sicherlich aber folgen sie nicht aus dem wirtschaftlichen Sonderinteresse der Bauern. Eine Betrachtung, die etwa den Landwirt als homo oeconomicus unterstellt, ohne auf solche Alternativen einzugehen, bleibt der Wirklichkeit um so fremder, je realistischer sie sich gebärdet. Während die Disproportionalitäten der Bewußtseinsformen ihrerseits in letzter Instanz aufs ökonomische Gesamtsystem

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