Gesammelte Werke
zu den Monographien 1 bis 8 abgedruckt, von denen die ersten drei von Max Rolfes und Adorno, die übrigen von Adorno allein unterzeichnet sind.
Herbert Kötter, Struktur und Funktion von Landgemeinden im Einflußbereich einer deutschen Mittelstadt. Darmstadt 1952. (Gemeindestudie. Monographie 1.)
In den agrarökonomischen Wissenschaften Deutschlands und auch anderer Länder setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, daß sie es nur mit wenigen Tatbeständen und Problemen zu tun haben, zu deren Verständnis soziologische Kategorien nicht ebenso gefordert wären wie im engeren Sinn ökonomische. Das oft betonte Moment des ›Traditionalismus‹ der deutschen Landwirtschaft führt methodologisch notwendig auf Soziologie. Soweit die deutsche Landwirtschaft von Motiven bestimmt wird, die, gemessen an Marktmechanismen, irrational erscheinen, reicht eine Analyse, die sich auf die im engeren Sinne ökonomischen Begriffe beschränkt, nicht aus. Damit ist kein vager Soziologismus vertreten. Die ›irrationalen‹ agrarischen Phänomene weisen schließlich auf die ökonomische Struktur zurück. Daß das Bewußtsein sich langsamer verändert als technische und wirtschaftliche Bedingungen, oder daß gewisse überalterte Differenzen zwischen Stadt und Land zäh fortdauern, fiele selber in den Umkreis einer umfassenden Theorie der Gesamtgesellschaft. Fragwürdig aber bliebe die unvermittelte und ausschließliche Anwendung wirtschaftlicher, marktmäßiger Maßstäbe auf Einzelsektoren, in denen, wie in der Landwirtschaft, jene Maßstäbe sich nicht ganz durchgesetzt haben. Solange man es isoliert mit der Sozialökonomie bestimmter ländlicher Gebiete zu tun hat, müssen zu deren angemessener Erkenntnis soziologische Überlegungen und soziologische Tatsachenforschungen ergänzend hinzutreten. Einsichten in die Formen des Zusammenlebens der Menschen, abgesehen von den eigentlichen Produktions- und Tauschvorgängen, sind unentbehrlich. Das gilt insbesondere für vorwiegend kleinbäuerliche Landwirtschaftstypen, zumal für solche, deren Umwelt nicht mehr rein agrarisch, sondern weitgehend gewerblich und industriell durchsetzt ist.
Von solcher Art sind die vier Dörfer des Darmstädter Hinterlandes, die von dem Forschungsprojekt des Darmstädter Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung ausgewählt wurden. Die agrarökonomische Darstellung ihrer Probleme, insbesondere auch der heute so charakteristischen Übergangsformen zwischen Land und Stadt, muß daher den soziologischen Aspekt in sich einschließen. Diese methodologische Forderung kommt zugleich überein mit der allgemeinen Fragestellung des Darmstädter Gemeindeprojekts, das auf der einen Seite Strukturanalyse gibt – hier also: im engeren Sinn ökonomische Verhältnisse betrachtet – und auf der anderen die Reaktionen zum Gegenstand hat, mit denen die Bevölkerung auf solche objektiven Verhältnisse anspricht, also soziologisch gerichtet ist.
Es sind nicht bloß methodologische Erwägungen, welche dahin drängen, die herkömmlichen Grenzen zwischen Agrarökonomie und Agrarsoziologie zu überschreiten und die Verflochtenheit ökonomischer und soziologischer Momente in der Landwirtschaft konkret zu untersuchen, sondern auch Motive inhaltlicher Art. Die Stadt ist in ihrer Bedeutung längst über die Funktion des ›zentralen Marktorts‹, die ihr die klassische deutsche agrarökonomische Theorie im Sinne von J.H. von Thünen einräumte, hinausgewachsen. Rein ökonomisch ist sie, neben vielem anderen, Arbeitsplatz auch für Teile der ländlichen und kleinlandwirtschaftlichen Bevölkerung geworden; kulturell, im Zuge der Entwicklung der industrialisierten Massenkultur, zu einem Zentrum, das dem Dorf Sitten, Lebens- und Bewußtseinsformen ›liefert‹, die mit den traditionellen oft heftig aufeinanderprallen. Im Zuge der gewerblichindustriellen Durchsetzung ehemaliger Agrargebiete überschneiden sich heute durch den unmittelbaren Einfluß der Stadt in den stadtnahen ländlichen Bezirken ländliche und städtische Wirtschafts- und Lebensformen in einem Umfang, wie er bislang kaum auch nur gesehen, geschweige denn bis ins einzelne dargestellt wurde.
Die Monographie von Kötter zählt zu den ersten Versuchen innerhalb der deutschen Wissenschaft, das Land-Stadt-Problem an einem genau umgrenzten Modell, doch auf breiterer soziologischer Basis zu erfassen, als die herkömmliche Agrarökonomie sie bietet. Insofern kann sie als ›Pionierarbeit‹ gelten. Der Autor kommt
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