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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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festbesoldeten Beamten vorherrscht, wird wahrscheinlich von vornherein jede Verwaltung anders beurteilen als der Sohn eines Landgerichtsrates. Bei der heute vielfach beobachteten Neigung zu clichéhaftem und starrem Denken ist damit zu rechnen, daß derartige Bezugssysteme oft sich stereotypisch verfestigen und die Fähigkeit beeinträchtigen, überhaupt zum Objekt in eine adäquate, realitätsgerechte Beziehung zu treten.
    Vor allem aber bilden heute mehr denn je die gesellschaftlichen Verhältnisse selber eine
Totalität,
und dieser Totalitätscharakter prägt sich in jedem einzelnen sozialen Sektor aus. Die allgemeine Rolle der Verwaltung im gegenwärtigen gesellschaftlichen Leben ist weit wichtiger als die Spezifikation der Verwaltung in Darmstadt. Wenn auch das Wesen von Verwaltung überhaupt vielfach an lokalen Verhältnissen wahrgenommen wird, so geht doch in solche Wahrnehmung vieles und vielleicht Entscheidendes ein, was nicht aus diesen Verhältnissen stammt. Sie werden nur als Spezialfall eines umfassenden Sachverhaltes erfahren. So kann gerade das wissenschaftliche Bestreben, der Willkür der Generalisierung zu entgehen, indem man sich am Besonderen orientiert, zu wissenschaftlichen Fehlern führen, indem man das Einmalige dort als Ursache erscheinen läßt, wo es in Wahrheit lediglich eine Gesamtstruktur repräsentiert, deren Beschaffenheit die subjektiven Verhaltensweisen begründet.
    Es war daher geboten, eben diese Schwierigkeit selber in die Forschung hineinzuziehen. Neben anderem sollte also auch ermittelt werden, wie sich das Verhalten der Darmstädter Bevölkerung zur Verwaltung darstellt unter dem Gesichtspunkt der konkreten Einsicht der Bevölkerung in die tatsächlich vorliegenden Verhältnisse. Dieser von vornherein gar nicht intendierten Problemstellung kam nun, zum Glück, die Anlage der beiden auf die Verwaltung bezogenen Fragen aus dem Fragebogen zur Erforschung der öffentlichen Meinung entgegen, deren erste dem Urteil des Befragten über die Verwaltung gilt, während die zweite den Erfahrungen nachgeht, die dem Urteil zugrunde liegen – oder nicht zugrunde liegen. Das Verhältnis dieser Fragen zueinander eröffnete zugleich grundsätzliche soziologische Perspektiven. Wieweit sind Menschen, die unter den Bedingungen zentral gelenkter Massenkultur leben und diesen Bedingungen tendenziell sich anpassen, überhaupt noch fähig, echte, primäre Erfahrungen zu machen? Wieweit nehmen sie die Realität schon durch die fertig fabrizierte Begriffsapparatur hindurch wahr, mit der sie ständig beliefert werden? So wenig zu erwarten steht, daß die theoretisch längst aufgeworfene Frage nach der erkrankten Erfahrung durch Erhebungen und Monographien bewältigt werden kann, so viel an Fakten vermögen doch gerade strikt empirische Untersuchungen für die Interpretation beizustellen.
    Untrennbar ist die Erkrankung des Erfahrungsvermögens, das, nach dem Ausdruck des amerikanischen Sozialpsychologen J.F. Brown, »stereopathische« Denken von der Frage der Autoritätsgebundenheit. Der lebendigen Erfahrung gegenüber nimmt das von der Gesellschaft vorgezeichnete und gleichsam bestätigte Stereotyp selber autoritären Charakter an, während autoritätsgebundene Menschen, aus tiefenpsychologischen Gründen, regelmäßig zugleich solche sind, deren Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, reduziert ist. Da nun die Darmstädter Erhebung gerade zur Frage der Autoritätsgebundenheit viel Stoff beigebracht hat, so wurde versucht, diesen Stoff in Korrelation zu setzen zum Urteil über die Verwaltung und der Erfahrung mit ihr, und auf diese Weise die Reaktionsformen der Bevölkerung nicht bloß vom Gegenstand her, sondern ebenso charakterologisch zu behandeln. Auf diese Weise ergab sich am ehesten die Möglichkeit, die Beziehung von subjektivem Verhalten und objektiven Gegebenheiten zu klären und gleichzeitig die Beschränkung auf bloß zwei Fragen, die unmittelbar auf das Verhältnis zur Verwaltung zielen, zu korrigieren.
    Um das zu leisten, reichen aber nicht die allgemein verbreiteten, laienhaften Vorstellungen von Psychologie aus. Einzig tiefenpsychologische Kategorien vermögen es, den genetisch-dynamischen Sinn der Charakterstrukturen und Typen begreiflich zu machen, die regelmäßig mit bestimmten Verhaltensweisen der Verwaltungsautorität gegenüber verbunden scheinen. Es wurde also, wie es in amerikanischen Erhebungen schon längst üblich ist und bereits in den frühen dreißiger Jahren in den

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