Gesammelte Werke
Darmstadt 1952. (Gemeindestudie. Monographie 8.)
Im Verlauf der Arbeit der Darmstädter Gemeindestudie kristallisierte sich allmählich ein Kernproblem aus: die Beziehung zwischen den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten der Stadt und dem in solchen Gegebenheiten sich abspielenden Leben der Menschen. Dabei sollte sowohl der Einfluß des Objektiven auf ihre reale Existenz, wie auch ihre subjektiven, teils der Sphäre des rationalen Urteils angehörenden, teils psychologisch bestimmten Reaktionen darauf behandelt werden. Innerhalb des begrenzten Sektors Darmstadt fielen die mannigfaltigsten Aspekte in den Rahmen der Studie. Demgemäß war auch der Begriff der objektiven Verhältnisse äußerst weit aufzufassen. Er schloß sowohl Situationen, also etwa den Zustand einer ausgebombten Stadt, ein, wie gesellschaftlich-ökonomische Kraftfelder von der Art der Beziehung von Stadt und Land, wie schließlich auch die Rolle besonderer Institutionen, etwa der Gewerkschaften und auch der Verwaltung. Dieser Breite der auf objektive Verhältnisse gerichteten Untersuchungen entsprach in gewissem Maße die der auf subjektive Einstellungen und Verhaltensweisen zielenden Erhebung. Daraus ergab sich notwendig, als neues und fruchtbares Element der Studie, die Zusammenarbeit der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, die sonst voneinander getrennt sind: der Ökonomie, Soziologie, Psychologie, Demographie, Verwaltungskunde, Agrarwissenschaft und anderer. Gerade die Zentrierung auf einen Einheitspunkt, nämlich die Gemeinde Darmstadt, machte es möglich, die oft geforderte Integration arbeitsteilig getrennter Wissenschaften weit konkreter in Angriff zu nehmen als in Fällen, in denen kein genau umrissener Aufgabenkreis die Beziehung dieser Disziplinen zueinander herstellt und regelt.
Als wir uns entschlossen, aus dem höchst umfangreichen Material zunächst eine Reihe von Monographien vorzulegen, lag es nahe, eine Einzelstudie auszuwählen, die als Modell jener Kernidee fungiert. Es empfahl sich dabei, dieses Modell einem institutionell genau definierten Sektor zu entnehmen, also Verhältnisse zu behandeln, die sich ohne allzu große Willkür an eindeutig gegebenen Einrichtungen dingfest machen und herausisolieren ließen. Unter den Gegenständen der Darmstädter ›Strukturanalyse‹ – so nannten wir alle die Teile des Gesamtprojektes, die sich mit objektiven Verhältnissen befassen – schien für diesen Zweck am geeignetsten die Darmstädter Verwaltung. Im Sinne des Gesamtplanes schloß sich daran ohne weiteres die zweite, subjektiv gerichtete Frage: Wie hat sich in der Zeit der Erhebung die Darmstädter Bevölkerung zur Verwaltung verhalten?
So einfach nun aber die Konstruktion eines derartigen Modells der wissenschaftlichen Vereinigung von Strukturanalyse und Erhebung erscheint, so groß sind doch die Schwierigkeiten. Sie liegen keineswegs nur daran, daß gerade die Verwaltungsstudie ursprünglich weit mehr institutionell als subjektiv angelegt war; daß das Interesse an der Stellung der Bevölkerung zu den Behörden erst allmählich in den Vordergrund rückte und dabei im wesentlichen mit den Antworten haushalten mußte, die auf zwei Fragen des Fragebogens zur Erforschung der öffentlichen Meinung vorliegen. Viel ernster waren die Schwierigkeiten in der Sache selbst. Während nämlich die Struktur der Darmstädter Verwaltung und die Stellung der Bevölkerung zu dieser Verwaltung miteinander konfrontiert werden sollen, ist es keineswegs von vornherein gesagt, daß die letztere tatsächlich von jener objektiven Struktur abhängt. Mit anderen Worten: es ist nicht ausgemacht, ob und in welchem Maße die Einstellung der Bevölkerung durch die objektive Realität, zumal durch die Beschaffenheit gerade dieser besonderen Darmstädter Verwaltung bestimmt wird. Das psychologische Problem der subjektiven Verzerrung, etwa der Projektion eigener Aggressionen auf die Ämter, die dann negativ bewertet werden, auch wenn sie es nicht verdienen, ist nur ein extremes Beispiel für jene Schwierigkeit. Umfassender ist anzunehmen, daß, auch wo man nicht mit pathischen Entstellungen der Realität durch Querulanten zu rechnen hat, das Urteil in weitem Maße nicht von dem spezifischen beurteilten Gegenstand motiviert wird, sondern von dem geistigen Bezugssystem, dem ›frame of reference‹ des Urteilenden. Der Sohn eines Kleingewerbetreibenden etwa, der in einer Atmosphäre aufgewachsen ist, in der Eifersucht auf die Sekurität des
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