Gesammelte Werke
vorgenommenen Untersuchungen (1. Inkongruenz der seelischen Lagerung, 2. Wille zum Typisieren) ist es wohl klar, daß die Schwierigkeiten der Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler – soweit sie vom Schüler ausgehen – wesentlich im Gemütsleben des Kindes begründet sind: dieser Eindruck bestätigt sich bei Betrachtung der dritten Erscheinung in der Seele des Schülers, die nach meiner Ansicht entscheidend ist, weil ihre Wurzeln viel tiefer liegen, als in Organismus und Form der Schule.
Denn – solange ein reifer Mensch im Leben gezwungen ist, etwas zu leisten, solange muß er sich in der Vorbereitungszeit Kenntnisse, d.h. das Wissen und Verstehen von Tatsachen und Gesetzen aneignen.
Ebenso wird aber jeder junge Mensch – wenn man von dem »Musterknaben«, der zielstrebigen Natur absieht – zunächst sich selbst leben wollen, zunächst: nehmen – einfach dem überstarken Selbsttriebe folgend.
Diese beiden Notwendigkeiten prallen in der Schule – wie vielerorten – aufeinander und wirken bestimmend ein auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler.
Der Schüler wartet – für das kleinere Kind ist der Lehrer der Mann, der mit ihm und noch vielen anderen seine Zeit zubringt, ihm allerlei Schönes erzählt und spielt – nur dunkel fühlt es, daß die Schule ein Neues, ein bis jetzt Unbekanntes bedeutet. Und nun kommt der Lehrer und
will
seinerseits – fordert seinerseits, und fordert im Dienste eines verstandesmäßigen Zieles, dem der Schüler durchaus fremd gegenübersteht.
Nach der
ersten,
vielfach entscheidenden Enttäuschung, nachdem sich der Schüler mehr oder minder damit abgefunden hat, daß man etwas von ihm fordert, daß er »arbeiten« muß, wird dann dem Schüler rasch eine zweite bereitet. Schnell findet er einen Wissenszweig, der ihm besonders zusagt, in dem er aufgeht, und in ihm entwickeln sich seine besonderen Neigungen und Fähigkeiten. Da zwingt ihn der Lehrer – immer selbst im Dienste des »Zieles« – sich gerade mit dem zu beschäftigen, was ihm nicht liegt, er beginnt einen festen Widerstand zu fühlen, dem Machtmittel zu Gebote stehen, die ihre Wirkung auf die Seele nicht verfehlen können.
Und nun – Druck entwickelt Gegendruck – wird im Schüler der Widerstand wach. Durch die vorhin erörterten seelischen Einwirkungen wird bereits eine Atmosphäre des Mißtrauens geschaffen, nun kommt – erst instinktiv, dann mehr und mehr bewußt erlebt – der
Haß
auf. Zunächst der Haß in seiner primitivsten Form, einfach ein plötzlicher Widerstand gegen überstarke äußere Einflüsse, dann immer mehr von andern seelischen Elementen – Neid, Rachsucht und besonders (wovon noch zu reden sein wird) Spieltrieb – durchdrungen.
Alle diese Erscheinungen sind noch verhältnismäßig harmlos, lassen sich durch einen Lehrer, der sie rechtzeitig erkennt, auch noch überwinden – doch sie stehen in engstem Zusammenhang mit dem gefährlichsten Vorgange der seelischen Beziehungen von Lehrer und Schüler.
Alle bisher betrachteten Erscheinungen wurzeln im Gemütsleben des Kindes. Das Gemüt ist dem Kinde das primäre, derjenige Teil seiner Wesenheit, auf den es zunächst die Eindrücke des Lebens bezieht. Deshalb ist das Gemüt auch schon in früher Jugend hoch entwickelt und fähig, feinste Lebensregungen aufzunehmen und zu verarbeiten: frühzeitig hat das Gemüt schon eine gewisse Reife erreicht.
Ganz anders der Verstand. Der Kern seines Wesens ist zwar von Anbeginn vorhanden; er hat aber noch zu wenig Stoff in sich aufgenommen, um selbständig wirken zu können. In der Schule nun wird selbständiges Wirken des Verstandes gefordert, und die neue seelische Ausdrucksform bietet dem Kinde mannigfache Anregung.
Der Lehrer tritt ihm als Verstandeswesen entgegen; gegen den Lehrer lehnt sich seine Empfindung heftig auf – was liegt nun näher, als daß es ihn auf dem nach seiner Ansicht eigensten Felde – dem der verstandesmäßigen Überlegungen – bekämpft, nun auch seinerseits typisiert?
Auf diese Weise kommt im Kinde das
Werturteil
über den Lehrer zustande, ein Urteil, das, da es von vornherein von einer falschen Voraussetzung, die in der inkongruenten seelischen Schichtung in beider Beziehungen und den Lehrer als Verstandesmenschen betrachtet, ausgeht, und da es ferner mit unzulänglichen seelischen Mitteln gefällt wird, notwendig in wesentlichen Teilen unrichtig sein muß.
Wenn jedes Urteil subjektiv bedingt ist, so ist es das des Kindes zweifellos in
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