Gesammelte Werke
ein wahres Binden des Gleichen, des Wesensgleichen: innerhalb derselben Gesellschaftsklasse nämlich wird nur das Gleichartige, das von außen nach Sitte und Gewohnheit Gleiche gebunden.
Sodann: diese große Anzahl von Menschen besteht nicht aus reifen Individuen, sondern aus Kindern, aus Wachsenden, aus Nehmenden. Alle die Seelen, die zusammenwirken, sind von irgendeinem Zweckbewußtsein noch völlig ungebunden, ihre ursprünglichen Triebe wirken sich frei aus und ihre Urteilsfähigkeit folgt nicht der Erfahrung sondern lediglich den Gesetzen ihrer Beschaffenheit. Sie sind alle ganz und gar von ihrem Ich, ihrem Lebensbewußtsein erfüllt, beziehen alle Erscheinungen auf sich und fordern, frei von reflektierenden Gedanken, unbedenklich die volle Hingabe des Andern an ihre Persönlichkeit. Der Begriff der eigenen Verantwortlichkeit gegenüber dem Andern, der Begriff der Arbeit, der Begriff der Pflicht, kurz alle Begriffe, die ein Durchdringen des Eigenbewußtseins mit einem Bewußtsein des nicht (wie etwa die Natur der naiven Anschauung) unmittelbar zum Ich Gehörigen bedingen, sind der Kindesseele fremd und bleiben es zum guten Teile auch dann noch, wenn längst die »Erziehung« in der Schule eingesetzt hat. Das Kind ist stark im Ichgefühl und fordernd.
Und fordernden Vielen tritt nun ein fordernder Einzelner gegenüber – der Lehrer. Für alle die verschiedenen seelischen Strahlungen bedeutet seine Persönlichkeit einen Brennpunkt – alle wollen etwas von ihm, der ihnen schon durch eine gewisse Tradition in einem eigenen Lichte erscheint, blicken auf ihn mit scheuem Vertrauen – und es geschieht das Unerwartete, das, was seelisch ebensogut ein Neues, Großes wie eine Katastrophe bedeuten kann: er fordert. Und zwei Willensströme treffen aufeinander – der Glauben erschüttert, die naive Selbstwertung ins Wanken gebracht – eine neue Zeit, eine Zeit des seelischen Kampfes
muß
beginnen.
Und mehr noch – jener Neue tritt ihnen nicht in seinem ganzen Ich entgegen, kann nicht seine ganze Wesenheit um ihre Wesenheiten einsetzen – auch er steht unter einem Zweck, der außerhalb seines Ich liegt, er ist für sie zunächst nicht Mensch, sondern Lehrer, d.h.
Vermittler
eines Abstrakten, Zwingenden, in seiner Herkunft Unbeschreiblichen, der nun – im Dienste dieses zunächst außerhalb der begrifflichen Sphäre des Schülers liegenden Zweckes – Forderungen zu stellen hat.
Damit erscheinen mir die Voraussetzungen der Beziehungen von Lehrer und Schüler im Wesentlichen gegeben. Sie rühren von außen her oder richtiger: sie sind bedingt nicht durch
individuelle,
sondern durch allgemeine, notwendige,
typische,
psychologische Vorgänge. Es ist nun ohne weiteres einleuchtend, daß diese Voraussetzungen – je nach der Beschaffenheit der Beteiligten – zu ganz verschiedenen seelischen Auswirkungen führen können – es handelt sich hier nur darum, die Erscheinungen zu untersuchen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Notwendigkeit auftreten – und gerade um diese Erscheinungen, die – wie oben dargetan – nicht im Individuellen, sondern im Typischen, zeitlich und allgemein – menschlich Bedingten wurzeln, ist ja in unseren Tagen der Streit so heftig entbrannt.
Worin haben wir nun die häufigsten Auswirkungen jener Voraussetzungen zu erblicken?
Der Lehrer – ein Mensch, der viel in sich aufgenommen und verarbeitet hat, der zu einer gewissen Reife gelangt ist und der auch von einem gewissen, zweifellos berechtigten Selbstbewußtsein erfüllt ist, tritt einer psychologisch nicht einheitlichen Gesamtheit entgegen mit der Aufgabe, sie zu lehren, also im Letzten zu
geben.
Mit dieser Gesamtheit kommt er in Berührung – aber nicht in freie, freigewählte Berührung sondern unter dem höheren Gesichtspunkte eines
Zieles.
Dieses Ziel ist ihm bekannt, den Schülern zunächst nicht; er betrachtet zunächst die Klasse wesentlich nach Maßgabe dieses Zieles, die Klasse sieht ihn unbefangener an. Während er seinen Geist nur auf einen ganz bestimmten Teil der Seele einstellt – zunächst den des rein Verstandesmäßigen – tritt ihm die Seele des Kindes ihrem vollen Umfange nach entgegen.
Die seelische Schichtung zwischen Lehrer und Schüler ist von Anbeginn nicht kongruent.
Das ist von höchster Wichtigkeit für die weitere seelische Ausgestaltung der Beziehung. Denn naturgemäß wird die Bewertung des Lehrers von seiten des Schülers einseitig und ungerecht. Der Schüler verkennt das Menschliche im Lehrer
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