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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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vor dem Verstandesmäßigen. Und da im Kinde zumeist die gefühlsmäßige Seite weit stärker ausgebildet ist als die verstandesmäßige, ja, da es (die Begründung führte zu weit) im allgemeinen zu einer Unterbewertung des Verstandesmäßigen neigt, so wird nach der ersten großen Enttäuschung gar bald ein gewisses Mißtrauen gegenüber einem Menschen platzgreifen, den das Kind seiner eigenen Wesensart gegenüber als fremd empfindet und den es – als den verstandesmäßig Überlegenen – gar leicht fürchtet.
    Wie sehr das Kind im Lehrer den Menschen sucht, als wie nebensächlich es eigentlich den »Unterrichtsbeamten« ansieht, beweist ja das leidenschaftliche Interesse, mit dem es alles, was es vom Lehrer, über den Lehrer
außerhalb
der Schule hört, aufnimmt. Nichts wäre verkehrter und oberflächlicher, als dieses Interesse einfach als bloße Neugierde oder gar als hämisches, spottsüchtiges Nachspüren erklären zu wollen; es ist eine unmittelbare Sehnsucht nach dem Menschlichen, die das Kind ganz primitiv in dem Erkennen der äußeren Lebensumstände des Lehrers, die ihm mehr als seine Wissenschaft zum »Menschen« zu gehören scheinen, zu stillen sucht.
    Noch ein Anderes macht sich gleich zu Beginn der Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler geltend. Es geht auf die gleiche Ursache zurück wie die eben besprochene Erscheinung.
    Oben wurde ausgeführt, daß die Schulgemeinschaft eine psychologische Vielheit darstellt, der die Einzelpersönlichkeit im Dienste eines Zieles gegenübertritt. Dieses Ziel läßt sich mit einer Vielheit von Menschen, die sich seiner nicht bewußt sind, nicht erreichen. Es ist vielmehr notwendig, diese Vielheit zu ordnen, das Ähnliche zu vereinen und das Unähnliche zu trennen, um damit die sonst unvermeidlichen Reibungswiderstände zu bannen. Aus dieser (nicht immer bewußt vorhandenen) Erkenntnis heraus erwächst im Lehrer der
Wille zum Typisieren.
    Da nun der Lehrer oft die Erscheinungen der Kindesseele nur unter dem Gesichtspunkte des Endzieles betrachtet, so wird er auch unter diesem – d.h. nach der »wissenschaftlichen Befähigung« typisieren. Hier nun freilich spielt die Sympathie des Lehrers eine gewisse Rolle – diese liegt aber jenseits des Typischen, ist nicht als in ihren psychologischen Auswirkungen konstant anzusehen und kommt daher für uns schwerlich in Betracht.
    Die Folgen des Typisierens auf die Seele des Schülers werden zweifellos stark unterschätzt: das hängt mit dem häufigen Vorurteil zusammen, daß die kindliche Seele weniger empfindlich gegen äußere Einwirkungen ist als die des Erwachsenen. Auf dieses Vorurteil braucht hier nicht eingegangen zu werden – es ist längst schlagend widerlegt und längst hat man erkannt, daß das noch nicht von Erfahrungen überlastete Wesen in weit höherem Grade fähig ist, neue Erscheinungen zu schauen und zu erkennen, als das mit äußeren Einwirkungen schon gesättigte, wo nicht übersättigte.
    Da nun das Kind – wie schon oben angedeutet – ganz von seinem Ich und dessen Erhaltung erfüllt ist, so empfindet es das Typisieren, das ihm stets eine Reihe von wichtigen Wesensseiten nimmt, das Einordnen in eine Gruppe, der es seinem Innern nach weit weniger nahesteht als vielleicht der Typisierende meint, geradezu als einen Angriff auf das Ich.
    Ferner reizt das Nüchterne, Verstandesmäßige, Kalte die junge Seele, die nun einmal Wärme braucht, aufs Heftigste auf. Es ist schon einem reifen Menschen nicht angenehm, zu wissen, daß seine Seele seziert wird, einem Kinde aber, in dessen Unterbewußtsein ständig das Gefühl der Schwäche mitschwingt, ist aber das Beobachtet-, Klassifiziertwerden geradezu unerträglich.
    Zum guten Teile kann man die Abneigung des Schülers gegen Note und Zeugnis – die Symbole des Typisierens – auf das Konto jener schablonenfeindlichen Empfindung setzen – sie muß nicht unbedingt aus Angst erwachsen.
    Ferner erklärt diese Empfindung eine sonst schwer begreifliche Erscheinung: daß sich die Schüler oft gerade am stärksten zu den Lehrern hingezogen fühlen, die im Letzten gar keine Lehrer sind. Denn diesen Männern – es sind zumeist künstlerische Naturen – geht der Sinn für die Schablone, für das Typisieren gewöhnlich ab:
    sie sind innerlich zu reich, um ihr Gefühlsleben – selbst dort, wo es das »Ziel« erheischt – aus dem Unterricht ausschalten zu können, selbst zu kompliziert, um die Seelen anderer als einfach sehen zu können.
    Nach den beiden

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