Gesammelte Werke
Innerlichkeit, von ihrem Gegensatz, Gehorsam, wie von einem Schatten begleitet wird. Ehrfurcht vor dem Geist verband sich bei ihm mit einer latenten Aversion gegens Denken, mit der Weigerung, dem Begriff mit aller Konsequenz zu folgen; die deutsche Trennung der geheiligten Idee vom angeblich bloß räsonierenden Verstand reichte in sein Lebensgefühl.
Viele seiner Stücke, darunter der autobiographische »Schacht«, aber auch der »König Stahl« kreisen um das Verhältnis des Sohns zum Vater und zielen auf die Befreiung vom Bann der Eltern, aber stets fast zeigen dabei die Vaterfiguren sich als substantieller, auch als künstlerisch gelungener denn die Söhne. Darin blieb er wahrhaft Hebbel verhaftet, über dessen implizite Geschichtsphilosophie er seine Dissertation schrieb; etwa der Agnes Bernauer. Die protestantische Innerlichkeit, in Gärung versetzt, stiftet bei Zickel den expressionistischen Innenraum, ohne daß er doch in diesen ohne Reservat eingebrochen wäre. Der zweite Akt des »Schachts«, der Kampf des poetischen Subjekts mit Emanationen religiösen Wahns, war nach seinen eigenen Worten ein »entfalteter Monolog«. Die Figuren des Innen blieben Chiffren, wurden nicht buchstäblich, als fürchtete ein allzu Gefährdeter, aus der Vision nicht mehr emporzutauchen. Aber gerade die im Zaum gehaltene Innerlichkeit enthielt als Haß gegen Anpassung ein antizivilisatorisches Moment. Er konnte über die schon laut Goethe »verfluchte Humanität« der Iphigenie Späße machen. Seine Art von Introversion erschwerte ihm nicht nur, mit Menschen inter pares sich zusammenzufinden, sondern hieß ihn auch mißbilligen, was ihm an anderen allzu umgänglich dünkte. Er stand gegen die Gesellschaft durch Kritik an Betrieb und Mitmachen; aber auch mit einer aggressiven Scheu gegen alles urbane Wesen, die ihm jene ungeschmälerte Fühlung mit dem Nicht-Ich verbot, die seine dramatische Gesinnung so leidenschaftlich verfocht.
Der Protestantismus, der Idealismus samt der aus ihm abgeleiteten Hebbelschen Dramatik und der deutsche Frühexpressionismus bildeten die Konstellation seiner eigenen Arbeit. Als Lyriker war er zumal von Heym und dem jungen Werfel berührt; von Gedichten wie der Morgue, von Werfelschen Versen wie Lächeln, Atmen, Schreiten, dem Mondlied eines Mädchens, von Jesus und dem Äser-Weg. Expressionistisch – und nicht ohne Beziehung auf den Jugendstil – war bei ihm die Vorliebe für hochgesteigerte Gesten und fürs Grelle; etwas Plakatierendes und Lautes, das gleichsam dem Überschuß der geistigen Intention übers Angeschaute sein Recht verschaffen wollte, indem es den Leser überschrie. Das reicht bis in die Interpunktion hinein. Doch schreckte er vor der Revolte der expressionistischen Sprache gegen den Sinn, ihrem eigentlichen Ausbruch aus der etablierten Kultur, zurück. Noch seine wildesten Sprachgebärden lassen in eine faßliche, der vertrauten Gestalt der Empirie gemäße Intention sich zurückübersetzen. Mit einer im Grunde klassizistischen Ästhetik kritisierte er denn auch das expressionistische Drama – zahlreiche Aufsätze dazu aus den frühen zwanziger Jahren finden sich in den verschollenen Frankfurter »Neuen Blättern für Kunst und Literatur« – und erkannte von der älteren Position her den Widerspruch, daß im Bannkreis absoluter Subjektivität keine eigentliche dramatische Antithese möglich ist. Dabei ging er, wie Paul Ernst, von einem fixierten Apriori des Dramas aus, ohne die Form selber in die Dialektik hineinzuziehen und jene Paradoxie als notwendige auszutragen. Der Unvereinbarkeit seiner Formidee mit der lyrischen Differenziertheit, die ihm vorschwebte, verschloß er sich. Die neuen Mittel bauschten sich um unerschütterte Kategorien wie die der Tragik. Der Sprung ins Ungedeckte ist, trotz allem Pathos, vielleicht gerade um des Pathos willen, vermieden. So ungestüm seine von Bildern überquellende Sprache an den Ketten rüttelt, so nachdrücklich der Anspruch seiner Stücke auf Totalität und dramatische Dialektik aus ist, sie sind undialektisch insofern, als sie einen jenseits der Gestaltung festen weltanschaulichen Gehalt nach einem Formkanon verkörpern, der ihm entsprechen soll. Das gilt auch für seine Anschauung vom dramatischen Ethos. Es war ihm unvermittelt eins mit dem Ästhetischen: die Idee, welche aus dem Drama heraussprang, sollte jenes Sittliche sein, das ihm von selbst sich verstand. Es stammte aus Christentum und traditioneller Philosophie. Am Sieg der
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