Gesammelte Werke
anzubiedern, rationalisiert und verinnerlicht die Armut des äußeren Lebens zur abstrakten Reinheit. Das Artefakt aber gerät brüchig, weil das Material zu dünn ist, aus dem es geformt ward. Paradox verhindert der Idealismus, der konzessionslos das Werk um des Werkes willen fordert, daß es gelinge. Nur in einem Wirf weg, damit du gewinnst, wird das Subjekt so substantiell, daß es das Artefakt wiederum durchtränkt. Zieht es sich aber in den bloßen Punkt zusammen, um aus Angst, an die Realität sich zu verlieren, eine Welt aus sich heraus zu schaffen, so reicht diese am Ende nicht hinaus über das, wozu solche Subjektivität sich einschränkte.
Die Andeutung der sozialen Momente, die Zickels unverführbare Begabung hindern mochten, während er entrüstet sich würde geweigert haben, auf sie zu plädieren, sagte freilich kaum das lösende Wort. Daher die Trauer in der Erinnerung an ihn. Es fehlt nicht an Künstlern, deren Sozialcharakter unter keinen günstigeren Bedingungen sich bildete und die dessen Grenzen überschritten. Jene Zufälligkeit, die Valéry an der geistigen Überlieferung konstatiert, gilt bereits individuell; dafür, ob einer vernommen wird oder nicht, sogar vielleicht für die Qualität der Produktion. Die Unmenschlichkeit und Zufälligkeit, die das Gesetz geschichtlicher Entwicklung grundiert, schlägt auch das Leben des Geistes, der wenig dazu tun kann, daß er weiter lebt. Was dem Cliché der Kunstreligion die Irrationalität der Gabe heißt, und was womöglich um solcher Irrationalität willen vergottet wird, wiederholt dort, wo die Menschen über der Realität sich wähnen, die reale Schmach, daß sie nicht sich selbst bestimmen. Noch das Opfer des Lebens an den Geist kann vergeblich sein. Keine durchsichtige Proportion herrscht zwischen der Anstrengung und dem Erreichten. In solcher trostlosen Ungerechtigkeit aber wird dem Geist etwas von dem Unrecht heimgezahlt, das er a priori schon ist, dem des Privilegs. Er dünkt sich besser als die, welche von ihm ausgeschlossen sind und die er beherrscht. Herrschaft spiegelt sich ihm als Freiheit. Dafür verfällt er der gleichen Naturwüchsigkeit, über welche er sich erhebt. Je souveräner er sich fühlt, je intransigenter er seinen Anspruch verficht, desto bedürftiger wird, was er erzeugt. Das Prinzip der Macht, das in ihm sich verkörpert, bleibt ohnmächtig über sich selber.
1958/1960
Fußnoten
1 Vgl. Valérys Abweichungen [jetzt: GS 11, s. S. 158ff.].
Rückübersetzung
Über Herbert Marcuse
Ich kenne Herbert Marcuse seit dreißig Jahren, wir wurden Freunde, als ich im Frühjahr 1938 nach Amerika übersiedelte. Spontan näherte uns das gemeinsame Interesse der Arbeiten, die wir für das Institut für Sozialforschung in Frankfurt über benachbarte Themen verfolgt hatten, einander an. Hinzu kam eine große persönliche Sympathie. Ich kannte ihn seit jeher als einen Mann von großer Integrität und zivilem Sinn, dazu mit einer Ironie begabt, die seinen geistigen Radikalismus von ›Fanatismus‹ fernhielt.
Von seinen Arbeiten schätze ich als besonders nützlich alle, die zu seiner fruchtbarsten Periode gehören, namentlich den Beitrag zu der Studienreihe über »Autorität und Familie«, den Aufsatz, der den Titel »Zur Kritik des Hedonismus« trägt, und ganz besonders den Traktat »Über den affirmativen Charakter der Kultur«, eine der besten Früchte unserer Frankfurter Schule.
In den letzten Jahren wurde viel über angebliche Differenzen zwischen uns geredet. Ich denke, dabei handelte es sich eher um eine Frage divergierender Temperamente denn theoretischer Differenzen. Hier liegt der Grund, warum manche ihm heute vorwerfen, ein resignierter Mann zu sein – eine Anklage, die ein paar Jahre früher noch gegen mich gerichtet war. Ich hoffe, daß uns bald die Gelegenheit gegeben wird, abschließend und erschöpfend die Probleme zu diskutieren, die uns auf unterschiedlichen Positionen sehen. Der Vortrag, den Marcuse auf dem Heidelberger Soziologentag 1964 hielt, war ein Meisterwerk.
1968
(Aus dem Italienischen von Heinz-Klaus Metzger)
Editorisches Nachwort
Der letzte Band der »Gesammelten Schriften« hat den Charakter einer Nachlese: er enthält vor allem Texte, die sich den vorangehenden Bänden der Ausgabe nur gewaltsam hätten einfügen lassen. Die Mehrzahl der abgedruckten Texte mag man als Nebenarbeiten charakterisieren: von unterschiedlichem Gewicht und Umfang, dabei von der
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