Gesammelte Werke
1924 gab er den Lehrberuf auf, siedelte 1926 mit seiner Familie nach Berlin über, hoffend auf Anregung und Kontakt. An beidem fehlte es nicht; aber sein Naturell, wohl auch Unbehagen am Berliner Literaturbetrieb bewog ihn dazu, sich draußen in Frohnau zu isolieren.
Obwohl manche nationalsozialistischen Motive Zickel nicht ganz fremd waren, ging er nie in die Partei, wie er denn kaum je in seinem Leben irgendwo sich einreihte, sondern allem Institutionellen gegenüber, auch wider die eigenen handgreiflichen Interessen, schroff auf seiner Autonomie bestand. Immerhin wurde das Stück »Europa brennt« bei einer Tagung der NS-Kulturgemeinde 1935 in Düsseldorf gespielt. Es wandte die Technik des epischen Theaters auf den Stoff der Befreiungskriege an, wie übrigens während der ersten Jahre der Hitlerdiktatur in Deutschland mehr von Brecht überwinterte, als man leicht annimmt. Trotz des Themas war das Drama, nach dem Vokabular jener Jahre, untragbar: wegen eines volkskonservativ-demokratischen Zuges, wegen unverhüllter Kritik am Kult des großen Mannes, auch wegen seiner Spitze gegen expansionistische Begierden. Zickel war unfähig, Konzessionen zu machen, selbst als er es einmal wollte: nichts ehrt ihn mehr. Am Abend der Düsseldorfer Première kam es zum Bruch mit der Partei; seitdem stand er auf der Liste unerwünschter Autoren. – 1944 wurde Zickels Sohn als vermißt gemeldet. 1950 verließ er Berlin, um im Westen Boden zu fassen. Ein Verlag wollte ihm die Möglichkeit geben, seinen letzten Roman zu beenden, brach aber finanziell zusammen, so verlor er auch diese Chance. 1953 starb er in Karlsruhe an einem Herzinfarkt.
Zickel war mein Lehrer, im doppelten Sinn. Ich habe, seit meinem zehnten Jahr, seinen Unterricht auf der Schule empfangen, und er hat, vor allem um 1920, nachhaltig auf mich gewirkt. Er stieß die Selbstverständlichkeit der kulturliberalen Voraussetzungen um, unter denen ich aufgewachsen war. Unvergeßlich ist mir etwa ein Gespräch, in dem ich von Toleranz redete, und in dem er mir zum ersten Mal etwas von der Idee einer objektiven Wahrheit jenseits des laisser faire der Meinung zum Bewußtsein brachte. Buchstäblich wurde mir die geläufig mitplätschernde Sprache verschlagen. Das 2 +, das er unter meine Aufsätze anstatt der gewohnten Eins schrieb, kurierte mich vom bescheidenen Ehrgeiz. In einem Aufsatz über das Thema, was wir von Lyrik erwarten, hatte ich das Wort Restlosigkeit gebraucht, und er legte mit unbestechlicher Liebe den Finger auf das Phrasenhafte und Formale, zugleich auch schlecht Versierte daran. Eine solche Erfahrung, mit sechzehn Jahren gemacht, gräbt sich ein. Das Bewußtsein davon, daß Sprache Widerstand ist gegen die Sprache, danke ich ihm so gut wie die Vorstellung vom Kunstwerk als einem noch im kleinsten Zug Verantwortlichen, Durchgebildeten, das auf nichts Vorgegebenes sich verlassen darf; und wie das Mißtrauen gegen den mittleren Feinsinn. Ein Gedicht, das ich ihm vorlegte, sagte vom Mond: »Zuckt um die Mundwinkel schläfrig Lied / Über die Häuser mit kichernden Stiegen«. Ein literarischer Sachverständiger hatte die kichernden Stiegen beanstandet: ihm fielen dabei Dienstmädchen ein. Zickel meinte: »Dann laß ihn doch ruhig daran denken.« An seiner Verteidigung ging mir für alle Zeit auf, daß das Schöne des Kunstwerks nichts zu tun hat mit dem Desiderat, die dargestellten Gegenstände müßten ästhetisch sein. Solche Stärkung trieb weiter. Wie es bei Freud im Buch steht, habe ich die Autonomie, zu der er mich erzog, auch gegen ihn selber gewandt, mich gegen ihn schon früh zur Wehr gesetzt. Oft sind wir aneinander geraten: über Politik, auch über neue Kunst. Viel Kraft kostete es, gegen sein ungestümes und kategorisches Wesen mich zu behaupten, aber gerade dank seiner Leidenschaft wurden die Konflikte produktiv. Wußte man bei keinem Gespräch mit ihm, der die Person mit der Sache unvermittelt identifizierte, ob es nicht zur Explosion führte, so hatte doch keine je den Charakter des Unversöhnlichen. In dem Dramatiker steckte etwas vom Schalk und vom Schauspieler; er drehte gleichsam den eigenen Affekt an, und stets spürte man eine Instanz darüber.
Jene Spannungen hatten sicherlich ihren psychologischen Aspekt, aber erschöpften sich nicht darin. Im Umgang mit Zickel ging mir unmittelbar auf, was ich viel später philosophisch verstand, die Zweideutigkeit in der idealistischen Lehre von der Freiheit selber, die, eingeschränkt auf
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