Gesammelte Werke
haften, worin einer besser war als die, welche es schafften. Nur erlaubt das verfinsterte Zeitalter nicht einmal, darauf sich zu verlassen.
Reinhold Zickel ist exemplarisch ein nicht zum Zuge Gekommener. Mit einer Lauterkeit, für die das Wort heroisch nicht zu hoch gewählt wäre, dessen Farbe zugleich ein Fragwürdiges indiziert, hat er sein ganzes Leben der Idee des Dichters unterstellt. Mehrfach stand er davor, sich durchzusetzen, nie ist es ihm ganz geglückt. Der Wirkung nach, die selbst dem strengsten Künstler nicht gleichgültig sein kann, blieb sein Opfer vergebens. Anstrengungen, nach seinem Tod das zu ändern, sind bislang gescheitert. Ein Verlag, der für die Lyrik sich interessierte, konnte zur Publikation nicht sich entschließen; ein Freund aus früheren Jahren, damals Redakteur, starb, ehe er etwas erreichte. Zickels Ernst gestattete ihm nicht, im Vertrauen aufs dubiose innere Königreich über die Fehlschläge einfach sich hinwegzusetzen. »Denn zu spät kommen ist doch der größte Fehler im Leben«, heißt es in einer autobiographischen Skizze von 1942 aus der »Büchergilde«. Dichtungen sind nicht indifferent gegen die Zeit ihres Hervortretens. Nicht nur läßt der einmal versäumte Kontakt eines Werkes mit dem Publikum, seine Stunde, nicht willkürlich sich nachholen. Sondern die Werke selber, ihre Qualität verändert sich bis ins Innerste mit der Zeit. Liest ein Gedicht heute sich anders als 1920, so ist daran nicht unbeteiligt, was ihm öffentlich widerfuhr. Erlangte es einmal Autorität, so strahlt es auch späterhin mehr von ihr aus, als wenn es bloß auf sich selbst gestellt wäre. Das Wort vom Schicksal der Bücher reicht tiefer, als es an Ort und Stelle vermeint: es bezeichnet die Ablösung des Werks vom Autor, die geschichtlich objektive Entfaltung seines Gehalts. Dem Versäumten gegenüber ist kaum mehr möglich als trauernde Erinnerung.
Geboren ist Zickel 1885 in Marienberg im Westerwald, groß geworden in einem halb ländlichen Frankfurter Vorort, wo sein Vater die Post verwaltete; dann in der Stadt. Der Vater stammte von Lehrern, Handwerkern, Bauern aus dem Nassauischen, die Mutter aus Schwaben, einer alten Theologenfamilie. Sie hing einer intensiven und düsteren Orthodoxie an. Er selbst sagte darüber, nach der Mitteilung von Leonore Zickel: »Die Lehre eines lebensfeindlichen, asketischen Glaubens verwandelte mir den Gekreuzigten oft zum dämonischen Gespenst.« Ontogenetisch wiederholte sich an seinem späten und verstörten Christentum, was phylogenetisch einmal das Christentum den alten Göttern angetan hatte: die christlichen Vorstellungen wurden sein Bilderschatz als jenes Unheimliche, dessen Begriff Freud aufs Allzuvertraute zurückführt. Um Zickels Phantasiehorizont kreisten – nicht unähnlich dem gleichaltrigen, ebenfalls protestantischen Trakl – theologische Assoziationen, aber gleichsam verhexte, stigmatisierte. Von ihnen zehrte er und lehnte gegen sie sich auf: Ambivalenz prägte seinen gesamten Habitus. Der Vater, autoritär-korrekt, aber oft heftig aufbrausend, muß ihn sehr unterdrückt haben; als er später sich zu habilitieren wünschte, konnte oder wollte er ihm nicht die Mittel zur Verfügung stellen; so wurde er zum Lehrerberuf gezwungen, der ihm widerstrebte trotz außerordentlicher pädagogischer Fähigkeit. Er studierte in Bonn, München und Marburg und legte 1908 sein Staatsexamen ab für die Fächer Deutsch, Geschichte, philosophische Propädeutik und Religion. Entscheidend war der Einfluß Hermann Cohens und des Marburger Neukantianismus; seine Dramen standen zeitlebens unter dem neukantischen Ideebegriff. 1914 rückte er als Offizier ein und wurde schon im August aufs schwerste verwundet. Ganz gegenwärtig ist mir ein Besuch im Lazarett; das durchsichtige Gesicht, der Ausdruck selbstvergessener Güte in der Berührung mit dem Tod. Im Sommer 1915 ging er wieder an die Front und wurde im September 1916 an der Somme zum zweiten Mal verwundet. Diesmal grenzte die Rettung ans Unbegreifliche. Ein Schlagaderschuß hatte ihn dicht überm Herzen getroffen; eine äußerst gewagte Operation erhielt ihn am Leben, doch verlor er infolge der Blutstockung die linke Hand. Im Sommer 1917 heiratete er, im Herbst wurde er aus dem Militärdienst entlassen und definitiv am Sachsenhäuser Reformgymnasium angestellt. Jahre intensiver dramatischer und lyrischer Produktion folgten. Das »Goldene Kalb« wurde in Bochum, der »Tod der Athene« in Frankfurt aufgeführt.
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