Gesammelte Werke
Forschung oder bereits die Erfahrung des gewöhnlichen Lebens stößt, etwa bereits der elementare Tatbestand der »unbemerkten Erinnerung«, finden durch jene Philosophie keinerlei Erklärung. Alles, was wir mit dem Rechte der Erfahrung als unbewußte psychische Tatsachen bezeichnen, mag zwar immerhin die Philosophie des Unbewußten als Beleg dafür in Anspruch nehmen, daß es etwas Unbewußtes gebe; aber wie im Zusammenhange unseres Bewußtseinslebens, dem sie doch unstreitig angehören, jene Tatsachen zustande kommen, was sie mit dem Bewußtseinsleben verbindet, und ob ihr Vorkommen irgendwelcher Gesetzmäßigkeit untersteht, darauf weiß die Philosophie des Unbewußten keinerlei Antwort. Ihr bleibt nichts übrig, als jene Tatsachen als letzte und bestimmte Fakten, als »Grund« des Bewußtseinslebens überhaupt anzunehmen und sich über die zunächst empirisch feststellbare Abhängigkeit jener Tatsachen von den Tatbeständen des Bewußtseins schlicht hinwegzusetzen. Wären sie von jenen abhängig, so wären sie nicht mehr unbewußt; zumindest nicht mehr unbewußt in jenem Sinn der absoluten Transzendenz, mit dem unsere Kritik vor allem es zu tun hatte. Die Frage nach der
Erklärbarkeit der empirisch feststellbaren unbewußten Tatbestände
macht eine philosophische Revision der Philosophien des Unbewußten radikal notwendig. Denn der Sinn einer philosophischen Behandlung des Problems des Unbewußten ist es ja, die allgemeinen Bedingungen aufzuklären, unter denen die Rede von unbewußten Tatbeständen überhaupt sinnvoll ist. Diese Aufklärung aber bleiben uns die Philosophien des Unbewußten ebensosehr schuldig wie eine vernünftige Aussage darüber, was sie unter Unbewußtheit überhaupt verstehen.
2. Die Antinomik der Lehren vom Unbewußten und die transzendentale Methode
Mit dem Nachweis der immanenten Unstimmigkeit der philosophischen Lehren vom Unbewußten und der Einsicht in die Abhängigkeit auch jener Lehren von transzendentalen Bedingungen ist unsere kritische Vorarbeit keineswegs völlig geleistet. Die Widersprüche, auf die wir trafen, sind zwar bezeichnet, aber nicht verständlich geworden; ihr Verhältnis zur transzendentalen Methode, auf die wir doch zu ihrer Auflösung offenbar verwiesen sind, ist ebenso unklar wie ihr Verhältnis zu den sachlichen Problemen des Unbewußten; sie scheinen nicht viel mehr als eine dogmatische Schrulle und wären erst dann wahrhaft überwunden, wenn es gelänge, die tieferliegenden philosophischen Gründe zu bezeichnen, die zu ihrer Bildung führten und deren Kritik zu einer positiven und undogmatischen Kritik des Begriffs des Unbewußten erheischt ist. Wir haben zwar in unseren einleitenden Betrachtungen auf jene Gründe hingewiesen und haben den Widerstreit der Lehren vom Unbewußten wider die Transzendentalphilosophie wenigstens so weit einheitlich zusammengefaßt, daß der gemeinsame polemische Sinn jener Lehren in seiner Beziehung zur Beschaffenheit der Kantischen Lehre selbst ersichtlich wurde. Aber noch ist das Verhältnis der immanenten Widersprüche der Lehren vom Unbewußten zu der Transzendentalphilosophie exakt zu bezeichnen; einmal insofern, als wir genauer nachzuweisen haben, daß die Widersprüche aus der Hypostasierung der Kantischen Grenzbegriffe, ja teilweise aus Kantischen Lehren selbst sich ergeben; dann aber auch insofern, als sich die Möglichkeit der Auflösung jener Widersprüche – ohne daß bereits eine positive Theorie des Unbewußten entwickelt wäre – aus der transzendentalen Methode ergibt. Die Auflösung jener Widersprüche leitet dann von selbst auf die transzendentale Fassung des Problems des Unbewußten und damit wird endlich die Klärung jenes Begriffes möglich. Wenn wir uns bei der weiteren Behandlung des widerspruchsvollen Charakters der Lehren vom Unbewußten des Kantischen Begriffs der
Antinomie
bedienen, so möchten wir damit nicht unsere Redeweise willkürlich der Kantischen Terminologie angleichen, sondern meinen durch die Identität der Termini auf die Identität der Sachprobleme hinzudeuten. Oben bereits wurde ausgeführt, daß die Grundbegriffe der Philosophien des Unbewußten, am Kantischen System gemessen, sich als Hypostasierungen Kantischer Grenzbegriffe darstellen, und es war ausdrücklich ausgesprochen worden, daß Kants Lehre von der Spontaneität bei konsequenter Durchführung der Vernunftkritik dem Verdikt der transzendentalen Dialektik verfiele – ohne daß damit übrigens behauptet sein soll, daß,
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