Gesammelte Werke
wie Kant es für seine Antinomien annimmt, eine Notwendigkeit bestünde, daß sich die Vernunft in die Widersprüche verwickele, die wir betrachten. Auf Grund jener engen Beziehung zwischen den Widersprüchen der Lehren vom Unbewußten und der Hypostasierung Kantischer Grenzbegriffe sowie den Unstimmigkeiten des Kantischen Systems selber belegen wir jene Widersprüche in der prinzipiellen Fassung, die wir ihnen zu geben trachten, mit dem Namen Antinomien. Es versteht sich, daß damit nicht etwa der Anspruch erhoben werden soll, die Kantische Antinomienlehre durch eine neue Antinomienlehre zu ergänzen. Für alle transzendentale Kritik von Widersprüchen, die sich aus dem transzendenten Gebrauch philosophischer Grundbegriffe ergeben, ist in der Kantischen Antinomienlehre alles Entscheidende geleistet, und wir für unser Teil wenden jene Antinomienlehre allein an auf ein Sachgebiet, das Kant mit Rücksicht auf den von ihm behaupteten Primat der praktischen Vernunft von ihrer Anwendung ausnahm 6 .
Wir hatten ausgeführt, daß das Problem des Unbewußten sinnvoll nur in der Bewußtseinsimmanenz, also für den »Zusammenhang unserer Erlebnisse zur Einheit des persönlichen Bewußtseins« (Cornelius), gestellt werden kann. Einer transzendental-idealistischen Betrachtungsweise, schon einer der räumlichen und vollends der psychischen Zusammenhänge – ihre Scheidung, die uns später, bei unserer Diskussion der transzendentalen Seelenlehre, eingehend beschäftigen wird, hier einmal vorausgesetzt – kann sich die Paradoxie ergeben, daß etwas Unbekanntes zugleich ein dem Bewußtsein Unbekanntes und doch im Zusammenhang des Bewußtseins Vorfindliches sein soll. Das Nonsens einer solchen Paradoxie hatten wir herausgestellt. Nun fragen wir, wie es zu jener Paradoxie überhaupt kommen konnte. Sie rührt, schlicht gesagt, her davon: daß jenes Unbekannte, wenn schon Motive irgendwelcher Art vorhanden sind, seine Existenz anzunehmen, nicht als eine wie immer auch verborgene und schwer zugängliche Tatsache des Bewußtseinszusammenhanges verstanden wird, womit es ja noch keineswegs als Erlebnis betrachtet werden müßte, so wenig etwa dingliche Individualgesetze, die ja auch bewußtseinsmäßig konstituiert sind, jemals Erlebnisse sind – daß also dies Unbekannte nicht als Tatsache des Bewußtseinszusammenhanges verstanden und aufgesucht, sondern seiner Unbekanntheit wegen zu einem Transzendenten und damit ein für alle Mal Unbekannten gemacht wird. Es ist die gleiche Paradoxie, die eine kritische Betrachtung Kants zwischen den Begriffen des immanenten und des transzendenten Dinges findet, welch letzteres bei Kant dadurch zustande kommt, daß die Divergenz zwischen objektivem, nämlich von seiner Wahrnehmung unabhängigem Ding und subjektiver Erscheinung zurückgeführt wird auf eine unabhängig vom Subjekt wirkende und ihm ewig verborgene Ursache. Daraus, daß gewisse Tatsachen des psychischen Lebens – etwa meine »Eigenschaften« – von sämtlichen einzelnen Erlebnissen, die ich habe, verschieden und wenigstens in gewissen Grenzen beständig sind, wird gefolgert, daß sie unabhängig von meinen Erlebnissen waltende und beständige Ursachen meiner Erlebnisse sind. Die Kantische Identifikation des transzendenten Dinges an sich mit dem intelligiblen Charakter ist, wie unverständlich ihrem sachlichen Gehalt nach, der genaue Ausdruck für die Gleichheit der Verhältnisse im objektiv-räumlichen und im psychischen Bereich. Damit indessen sind die Gründe für den prinzipiell transzendenten Ansatz der unbewußten Tatsachen noch nicht erschöpft. Die Analyse des Bewußtseinszusammenhanges stößt auf gewisse letzte, nicht weiter zurückführbare Tatsachen, die die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung ausmachen: die transzendentalen Faktoren. Diese konstitutiven Faktoren der Bewußtseinsimmanenz, unseres Erlebniszusammenhanges, müssen, um als solche faßlich zu werden, selber immanent, durch eine empirische Analyse des Bewußtseinszusammenhanges feststellbar sein. Zugleich aber kommt ihnen für eben jenen Zusammenhang konstitutive Bedeutung zu; er ist ohne sie nicht denkbar. Sobald nun, nach dem Vorgang der Leibniz-Wolffischen Ontologie, von der hier gerade Kant sich nicht energisch gesondert hat, empirische Tatsachen als für Erkenntniszwecke minderwertig betrachtet werden; der Grund für allgemeingültige Urteile jenseits aller Erfahrung gesucht wird, gerät die transzendentale Untersuchung in Konflikte mit sich selbst.
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