Gesammelte Werke
Wohl ist es notwendig empirische Forschung, die uns der Idealgesetze versichert, die wir transzendentale Bedingungen nennen. Aber eine von der Minderwertigkeit der Erfahrungserkenntnis ausgehende Erkenntnislehre bemüht sich alsogleich, jene Idealgesetze dem Erfahrungsbereich zu entheben, in dem sie gefunden wurden. Darum werden sie zu Transzendenzen und als solche mit den unbewußten Tatbeständen verwirrt. Es gilt demgegenüber in Schärfe die Scheidung zwischen beiden auszusprechen. Unbewußte Tatbestände sind, wann immer sie im Zusammenhang des Bewußtseins sich finden, aufzuklären durch Rekurs auf Erlebnisse. Die Möglichkeit eines solchen Rekurses ist für die transzendentalen Bedingungen nicht gegeben. Sie sind letzte, irreduzible Tatbestände. Aber dafür sind sie niemals in irgendeinem Sinn unbewußt. Unter dem Begriff einer transzendentalen Bedingung – etwa der Erinnerung – fassen wir eine auf keine andere Klasse von Erlebnissen zurückführbare Klasse von
Erlebnissen
zusammen. Der transzendentale Faktor als solcher, als ein Idealgesetz, ist zwar nicht Erlebnis. Alle dem Allgemeinbegriff eines solchen Faktors unterstehenden Einzeltatsachen – also alle Fälle von Erinnerung, von Wiedererkennen usw. –
sind
Erlebnisse. Der transzendente Ansatz der transzendentalen Faktoren ist damit bündig widerlegt. Zurückführbar auf den ontologischen Ursprung der vérités de raison, gibt er zu antinomischen Konflikten gleichwohl kaum Anlaß. Ein solcher Konflikt aber ist in der oben kritisierten und ihrer philosophischen Konstitution nach dann näher bezeichneten Tatsache der Unbekanntheit psychischer Tatbestände angelegt, und dies Problem der Antinomik eines »Dinges an sich der Seele« gilt es nunmehr scharf herauszustellen.
Daß unsere Erkenntnis der Tatsachen und Zusammenhänge unseres Seelenlebens eine positive Grenze habe, ist genau so wenig anzunehmen, wie daß unsere Erfahrung der räumlichen Außenwelt jemals auf eine derartige Grenze stoße. Zugleich aber müssen sich alle psychischen Tatbestände auf solche, die mir bekannt sind, zurückführen lassen. Wird der Begriff des grenzenlosen Fortganges meiner Erfahrung
positiv
gefaßt, so gelange ich zu einer Antinomie hinsichtlich des Fortganges meiner Erkenntnis der psychischen Tatbestände. Sie mag hier so formuliert sein: alle Tatbestände meines Bewußtseins sind, als diesem Bewußtsein zugehörig, erkennbar. Da wir aber im Fortgang unserer Erfahrung uns niemals sämtlicher Zusammenhänge unseres Bewußtseins versichern können, so sind nicht alle Tatbestände, die meinem Bewußtsein zugehören, erkennbar. Die beiden Sätze sind einander kontradiktorisch entgegengesetzt, und ihr Gegensatz gibt den tiefsten Grund für die Möglichkeit aller Philosophie des Unbewußten sowohl wie für die Widersprüche, in die sich jede solche Philosophie notwendig verwickelt, da sie ja nicht allein das Unbewußte als Grund aller psychischen Tatsachen behauptet, sondern andererseits durch die Tatsachen selbst genötigt ist, den Grund der unbewußten Gegenstände in bewußten anzuerkennen. Das drückt sich aus in dem bereits dargestellten Kernwiderspruch, der alle Philosophien des Unbewußten durchschneidet: daß ihnen die unbewußten Gegenstände immanent sind als Tatbestände des Bewußtseins und transzendent als jenseits der Erfahrung gelegen 7 . Wenn diese Jenseitigkeit nicht allein von den unbewußten Tatsachen als
Grenzbegriffen,
wie sie uns noch zu beschäftigen haben werden, sondern allgemein auch von solchen unbewußten Tatbeständen behauptet wird, die, wie sich erweisen soll, der empirischen Analyse durchaus zugänglich sind, so hat das seinen Grund in der angeführten Konfusion zwischen den unbewußten Tatbeständen und den transzendentalen Bedingungen, die ja keineswegs Grenzbegriffe sind – aber allerdings überhaupt keine unbewußten Tatsachen und darum für die Philosophien des Unbewußten von Anbeginn nicht verwertbar. – Die Antinomie zwischen Immanenz und Transzendenz der unbewußten Tatsachen bleibt solange unlösbar, wie die Grenzenlosigkeit im Fortgang unserer Erkenntnis des Psychischen begründet wird mit der Annahme von transzendenten Gegenständen, deren wir uns niemals vollständig versichern können. Die Beseitigung jener Annahme ist eine der ersten Aufgaben der Kritik von Transzendentalphilosophie an den Philosophien des Unbewußten. Das unabhängig von meiner Wahrnehmung existierende psychische Sein ist mit dem Zusammenhange meines
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