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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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kommenden Untersuchung sein; schon hier darf, um dem Begriff des Unbewußten allen mystischen Schein zu nehmen, darauf hingewiesen werden, daß keineswegs alles, was dem Bewußtsein zugehört, darum selbst Erlebnis sein muß. – Die Bestimmungen, die die Lehren des Unbewußten ihrem Zentralbegriff gaben, verfallen allesamt der transzendentalen Kritik. Der Schluß auf eine unbewußt wirkende Ursache der Phänomene ist unerlaubt, weil ja die Phänomene selbst das unmittelbar Gegebene, die letzte Rechtsquelle aller Begriffsbildungen des Unbewußten nicht allein, sondern auch des Kausalbegriffs selbst sind, der also zu ihrer Erklärung nicht vorausgesetzt werden darf, wofern überhaupt die Betrachtung sich in den Grenzen der Empirie halten will. Transzendente Seelendinge, die unabhängig vom Zusammenhange der Erlebnisse wären, gibt es genau so wenig, wie es transzendente Raumdinge gibt, und ihre Annahme führt notwendig zu den bezeichneten Widersprüchen. Nicht anders als mit der Annahme transzendenter »Dinge an sich der Seele« verhält es sich mit der Annahme, daß die transzendentalen Bedingungen bewußtseinsjenseitige Transzendenzen seien. So wenig synthetische Urteile a priori, wie es Kant meinte, von der Erfahrung abhängige, sondern für alle Erfahrungen gültige Urteile sind, so wenig sind die konstitutiven Faktoren des Erfahrungszusammenhanges von diesem Zusammenhang unabhängig. Transzendentale Bedingungen sind uns nichts anderes als elementare Formen unseres Bewußtseinszusammenhanges, auf die sich alle anderen Formen zurückführen lassen; die sich aber aus einer konkreten Analyse des Bewußtseinszusammenhanges ergeben, nicht etwa als transzendenter Grund jenes Zusammenhanges vermutet werden müßten. Sie als unbewußten Grund des Bewußtseins hypostasieren, heißt die Schranke der Erfahrung überschreiten, und die Widersprüche der Lehren vom Unbewußten bestätigen exemplarisch das Unzulässige eines solchen Verfahrens.
    Ebenso verfällt der transzendentalen Kritik die Behauptung der Irrationalität des Bewußtseins und die daraus gefolgerte Unbewußtheit der Seele. Nur unter der Voraussetzung einer vollständigen Gegebenheit der positiv unendlichen Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung kann zugleich deren Unendlichkeit als Transzendenz und Endlichkeit als Immanenz behauptet werden. Die Bedingungen als solche sind aber nicht unendlich, sondern allein für den Fortgang der Erkenntnis ist keine positive Grenze gesetzt: »Wo immer ein Bestandstück der erfahrbaren Welt sich als bedingt durch eine unsererseits nicht bis zum Ende zu durchlaufende Reihe von Bedingungen erweist, verwickelt sich unser Denken in einen unlösbaren Widerspruch, sobald diese Reihe der Bedingungen als eine
an und für sich bestehende
vorausgesetzt wird.« 10 Es ist also jede Annahme eines »intelligiblen Charakters«, jede Aussage über die Unendlichkeit der Seele und jede verwandte Lehre hinfällig. Damit ist nun, im Sinne des transzendentalen Idealismus, nicht etwa die positive Endlichkeit unserer psychologischen Erfahrung behauptet, deren Annahme zu den gleichen antinomischen Resultaten führt wie die Annahme der Unendlichkeit. Wohl sind die allgemeinsten Bedingungen des Bewußtseins, nämlich die, die seinen Zusammenhang konstituieren, vollständig bekannt. Damit aber sind die Seelisches unter sich befassenden Begriffsbildungen nicht ihrem Inhalt nach erschöpft. Denn die Begriffsbildungen, unter denen wir die psychologischen Tatsachen befassen, sind ja von dem Wechsel unserer Erlebnisse mitbestimmt; sie müssen sich zwar stets und allemal auf Grund der transzendentalen Bedingungen konstituieren, sind aber nicht unabhängig von dem jeweiligen Inhalt der Erfahrung im voraus allesamt zu beschreiben. Das Verhältnis von »rationaler« und »empirischer« Psychologie, auf das wir damit hindeuten, wird uns noch zu beschäftigen haben. Schon jetzt aber darf die Auffassung vertreten werden, daß eine prinzipielle Scheidung zwischen beiden, wie sie etwa die phänomenologischen Schulen der Gegenwart vertreten, nicht besteht, da die transzendentalen Bedingungen allesamt einer Analyse des empirischen Bewußtseinsverlaufs entstammen und die empirischen Tatsachen allesamt unter den transzendentalen Bedingungen stehen.
    Die Vernachlässigung der Bezogenheit der einzelnen unbewußten Tatbestände einerseits und der transzendentalen Faktoren andererseits auf den Zusammenhang des Gegebenen bedeutet – wie bereits ausgeführt – nicht

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