Gesammelte Werke
Kantische Antinomienlehre in weiterem Umfang anzuwenden, als es bei Kant selbst geschehen ist. Andererseits gibt uns die Polemik der Lehren vom Unbewußten gegen die Kantische Unterbewertung der Empirie Anlaß, die transzendentale Analyse von den Resten der rationalistischen Metaphysik energischer zu reinigen, als es in der Vernunftkritik geschieht. Endlich gibt uns die Tatsache, daß das Kantische System selbst keinen Raum für einen Begriff des Unbewußten bietet, während die empirische Forschung auf einen solchen Begriff notwendig verwiesen ist, Grund genug, den Gang jener psychologischen Analyse, die bei Kant den metaphysischen Begriff des Unbewußten zwar trifft, aber darüber hinaus auch einer empirischen Theorie des Unbewußten den Weg verlegt, zu überprüfen. Das Resultat unserer kritischen Vorerwägung ist also keineswegs bloß negativ und gewiß keine blinde Bestätigung der Kantischen Lehrmeinungen. Indem wir den dogmatischen Begriff des Unbewußten auflösten, lösten wir auch seinen Ansatz im transzendentalen Idealismus auf und wurden damit zu dessen konstitutiven Problemen zurückgeführt; nicht umsonst machen wir zum Maß unserer transzendentalen Erörterung nicht sowohl Kant selbst als eine transzendentale Erkenntnislehre, die eben jene Bestandteile der Kantischen Lehre umfassend kritisiert hat, auf deren Problematik wir bei unserer Behandlung der Lehren vom Unbewußten gerieten. Von einem notwendigen und konstitutiven Widerspruch zwischen der Transzendentalphilosophie und den philosophischen Lehren, die mit einem Begriff des Unbewußten operieren – freilich nicht den herkömmlichen Philosophien des Unbewußten, die unsere Kritik traf –, kann sonach keine Rede sein. Die Theorie des Unbewußten bedarf zu ihrer Rektifizierung und positiven Ausgestaltung notwendig der transzendentalen Theorie. Die Probleme des Unbewußten wiederum geben zu einer Revision des Kantischen Idealismus Anlaß. Kurz, es besteht zwischen beiden eine wechselseitige Relation, die nicht mit dem Hinweis auf gründende metaphysische Unterschiedenheiten abgetan werden kann. Denn jene vorgeblich metaphysischen Differenzen sind nichts als Folgen der Unstimmigkeit der Theorien in sich und verschwinden mit der Korrektur jener Theorien, der des Unbewußten zumal, deren Zentralbegriff seiner angeblich metaphysischen Dignität entkleidet wird. Dies allerdings wird in aller Deutlichkeit sich erst aus den kommenden Analysen ergeben.
Der erste Schritt zur Korrektur der Theorien des Unbewußten ist die transzendentale Behandlung ihrer Widersprüche, der wir zwar bei der allgemeinen Begründung der Widersprüche umfassend vorgearbeitet haben, indem wir stets und überall auf Verfehlungen gegen die kardinalen Erkenntnisse des transzendentalen Idealismus stießen, wo jene Widersprüche sich einstellten, deren Elemente wir aber nun erst zu vereinen fähig sind. Was zunächst den Widerspruch der Lehren vom Unbewußten anbelangt, daß irgendwelche psychischen Tatsachen als unbewußte dem Bewußtsein gegenüber transzendent, zugleich aber als Tatsachen, die dem Zusammenhange des Bewußtseins angehören, immanent sein sollen, so ergibt sich seine transzendentale Korrektur, sobald wir uns streng in dem Rahmen halten, der uns von Transzendentalphilosophie vorgezeichnet ist. Es gibt für die transzendentale Erkenntnis nichts, was nicht seinen letzten Ausweis im Zusammenhang unserer Erfahrung fände, und auch die unbewußten Tatsachen gehören diesem Zusammenhang notwendig zu. Unbewußt kann also niemals bewußtseinstranszendent heißen, und Aufgabe wissenschaftlicher Erkenntnis ist es, die unbewußten Tatsachen, die ihr begegnen, durch den Zusammenhang des Bewußtseins zu begründen. Da aber der Zusammenhang unseres Bewußtseins ausschließlich in unseren Erlebnissen fundiert ist und alle Erlebnisse als solche bewußt sind, so ist damit zugleich die Forderung einer Reduktion aller unbewußten Tatbestände auf bewußte ausgesprochen. Indem die Zugehörigkeit aller unbewußten Tatbestände zum Bewußtsein erkannt ist, und weiter: indem alles Unbewußte auf Bewußtes muß zurückgeführt werden können, ist eine Einschränkung des Begriffs des Unbewußten geboten in der Weise, daß mit unbewußt nicht mehr ein unauflöslicher Gegensatz zum Bewußtsein bezeichnet wird, sondern eine besondere Klasse von Bewußtseinstatbeständen. Die Unterscheidung dieser Tatbestände vom allgemeinen Begriff des persönlichen Bewußtseins wird eine Hauptaufgabe der
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