Gesammelte Werke
Lehre von den psychologischen Paralogismen ist die transzendentale Kritik zunächst der »rationalen Seelenlehre« des Wolffischen Systems. Im Zusammenhang der Vernunftkritik aber kommt ihr die weitere, vom historischen Anlaß unabhängige und systematisch gegründete Intention zu: alle Bewußtseinsmetaphysik zu treffen und damit, ohne daß jene eigens erwähnt wären, auch die Lehren vom Unbewußten, mit denen wir uns bislang kritisch auseinandersetzten. Was in der Antinomienlehre kritisch an den beiden naturalistischen Begriffen der vom Bewußtsein unabhängigen Welt als Inbegriff transzendenter »Dinge an sich« und der ebenfalls vom Bewußtsein unabhängigen Kausalität vollbracht wird, soll in der Paralogismenlehre an dem dritten naturalistischen Begriff, dem des Ich, geleistet sein. Während aber die Kritik des naturalistischen Kausalitätsbegriffs nicht radikal genug geführt ist und schließlich auf Umwegen sogar der Ding an sich-Begriff wieder eingeführt wird, geht die Kritik der psychologischen Paralogismen über ihr Ziel hinaus, löst den Begriff des empirischen Ich auf, der, wie der Begriff des empirischen Gegenstandes, eben zu konstituieren wäre, und macht damit nicht allein jede wissenschaftliche Psychologie unmöglich, sondern überläßt gar das Feld, das sie beherrschen sollte, der Willkür beliebiger Annahmen, ohne die positiv gültigen Begriffe der Psychologie von blinden Hypostasierungen irgend abzugrenzen. Wenn der Begriff des Unbewußten als metaphysische Setzung in die Philosophie eindringen konnte, so hat daran, außer der Bildung der Begriffe der Spontaneität und des intelligiblen Charakters, das Kapitel über die Paralogismen nicht wenig Schuld. Zugleich enthält es alle die Probleme in sich, die für eine »transzendentale Psychologie« konstitutiv in Betracht kommen. Zweckmäßig knüpfen wir darum, um unsere transzendentale Theorie des Unbewußten vorzubereiten, an die Lehre von den psychologischen Paralogismen an. Ehe wir jedoch Kants Beweisführungen zur Kritik der einzelnen Paralogismen verfolgen, suchen wir die Voraussetzungen seines Verfahrens zu verstehen und damit die Gründe, die im Rahmen des Kantischen Systems die Bildung eines Begriffs des Unbewußten unmöglich machen.
Unter Paralogismus versteht Kant ein falsches
Schlußverfahren:
»Der logische Paralogismus besteht in der Falschheit eines Vernunftschlusses der Form nach, sein Inhalt mag übrigens sein, welcher er wolle.« (K. d. r. V., 349) Ein transzendentaler Paralogismus ist für Kant ein solcher Fehlschluß, der »einen transcendentalen Grund« hat, »falsch zu schließen«, und der damit »in der Natur der Menschenvernunft seinen Grund« (K. d. r. V., 349) hat. Damit ist zweierlei ausgesagt: daß die Widersprüche, in die sich eine »rationale Seelenlehre« verwickelt,
notwendig
einer solchen anhaften, was zu prüfen sein wird und jedenfalls nicht vorausgesetzt werden kann; und daß die Kritik dieser Widersprüche wesentlich als eine Kritik der
Schlußverfahren
wird auftreten müssen, die jene Widersprüche mit sich bringen. Mit dieser zweiten Aussage ist bereits der eigentliche Grund der Unzulänglichkeit der Kantischen Analyse vorweg bezeichnet. Es handelt sich ja bei einer Analyse des Bewußtseinszusammenhanges – und nur eine solche kann als Ausweis einer »transzendentalen Psychologie« angesehen werden – gar nicht um Schlüsse, um logische Operationen, sondern um den Aufweis unmittelbar gegebener Tatbestände. Indem aber Kant das unmittelbar Gegebene als Rechtsquelle der transzendentalen Psychologie übersieht, entgeht ihm die Möglichkeit des legitimen Ansatzes einer solchen Psychologie insgesamt. Wenn seine Kritik der Vernunftschlüsse auf die Ontologie der Seele zu Recht besteht – und sie besteht in weitem Umfang zu Recht –, so meint er damit die Möglichkeit einer transzendentalen Psychologie allgemein widerlegt, deren Boden er eben erst vorbereitet hat. Seine prinzipiell logistische Orientierung dem Problem der transzendentalen Seelenlehre gegenüber hat zunächst, historisch, ihren Grund darin, daß die
Allgemeinbegriffe
der Substantialität, Identität, Idealität und Simplizität von der Wolffischen Metaphysik zwar der Form nach »bewiesen«, tatsächlich aber
vorausgesetzt
werden, nicht etwa konstituiert auf Grund einer Analyse der Faktoren des Bewußtseinszusammenhanges. Da aber Kants Kritik durchaus an jener Schulmetaphysik sich orientiert, so ist es für ihn nicht die Frage, was etwa an
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