Gesammelte Werke
lassen, ob eine solche Art der vollständigen Gegebenheit von
dinglichem
Sein im Bewußtseinszusammenhang jemals vorkommt, ja ob überhaupt bei höchster Strenge der Begriff einer solchen zu denken ist; wir bedürfen seiner hier ausschließlich als eines erkenntniskritischen
Grenz
begriffs, der uns zeigen soll, wie weit wir höchsten Falles von bewußt überhaupt noch reden dürften, ohne daß wir hier den Antinomien nachforschten, die sich aus der positiven Anwendung dieses Grenzbegriffs ergeben könnten; seine positive Anwendung jedenfalls vermeiden wir. Von unserer letzten Bestimmung des Bewußten jedoch wünschen wir auszuschließen alle jene Zusammenhänge, die wir nach den Ergebnissen der vorigen Analysen als objektiv räumliche zu bezeichnen haben; sie sollen uns, soweit die eben formulierten Forderungen erfüllt sind, nicht »bewußte«, sondern »bekannte« Gegenstände heißen.
Wir bezeichnen demgegenüber als
unbewußt
alle diejenigen Tatbestände, die weder gegenwärtiges Erlebnis, noch in der gegenwärtigen Erinnerung deutlich und unterschieden gegebenes vergangenes Erlebnis, noch endlich Raumding sind; sondern alle die Tatsachen und Zusammenhänge unseres Bewußtseinslebens, die uns in irgendeiner Hinsicht unbestimmt gegeben sind – mittelbar gegeben auf alle Fälle –; sei es, daß wir von ihnen allein durch rudimentäre Erinnerung im oben bestimmten Sinn Kenntnis haben, sei es, daß wir Begriffsbildungen über den Immanenzzusammenhang unseres Bewußtseins vollziehen, die Regeln für das Auftreten von Phänomenen sind, ohne daß uns die Phänomene selbst gegenwärtig wären; sei es endlich, daß die Gesetze selbst, durch die Möglichkeit der steten Gewinnung neuer Erfahrung, in einer oder mehrerer Hinsicht unbestimmt bleiben. Damit indessen ist unsere Bestimmung des Begriffs des Unbewußten noch nicht eng genug. Nach unserer Bestimmung, die
räumliches
Sein von der Disjunktion bewußt-unbewußt ausgeschlossen hat, nehmen wir von unserer Definition des Unbewußten alle diejenigen Zusammenhänge aus, die sich als objektiv räumlich charakterisieren. Soweit sie nicht, nach den bei der Begrenzung des Begriffs »bewußt« vollzogenen Bestimmungen, als »bekannt« zu bezeichnen sind, sollen diese räumlichen Zusammenhänge uns
unbekannte
heißen. Es fallen uns also unter den Begriff des Unbewußten zwar sowohl allgemeine wie besondere Inhalte, die ersteren aber nur insoweit, wie sie sich nicht als Zusammenhänge im objektiven Raum charakterisieren. Der Begriff des Unbewußten bezeichnet uns demnach nicht etwa eine bestimmte Klasse von Erlebnissen, sondern findet überall da seine Anwendung, wo uns im Zusammenhang unseres Bewußtseins Tatsachen entgegentreten, die uns nicht als solche unmittelbar gegeben noch auch clare et distincte erinnert sind; denen wir aber doch auf Grund der Gesetzmäßigkeit des Bewußtseinszusammenhanges Dasein zusprechen müssen, Dasein unabhängig von unserer gegenwärtigen Wahrnehmung. Da keineswegs alles mittelbar gegebene Sein bereits dinglich ist, so müssen auch keineswegs alle unbewußten Tatbestände dinglicher Art sein; das Beispiel der unbemerkten Erinnerung beweist es. Da aber andererseits die Auffassung der Phänomene unter Dingbegriffen eine allgemeinste Struktur unseres Bewußtseins ist, so müssen wir notwendig alle unbewußten Tatsachen auf dingliches Sein beziehen; d.h. sie sind entweder selbst Dinge oder Phänomene von Dingen: eben den Seelendingen im Sinne des Abschnittes über die transzendentale Seelenlehre.
Damit sind die allgemeinsten Bestimmungen hinsichtlich des Begriffs des unbewußten Seins gewonnen und der Begriff selbst in ausreichender Schärfe definiert, um sowohl vor der Verwechslung mit »Bewußtsein« im engeren Sinn wie vor der Verwechslung mit jeglicher Metaphysik des Unbewußten als sichergestellt gelten zu dürfen. Wir verzichten absichtlich darauf, unsere verzweigte Definition in einen Satz zusammenzufassen; ontologistische Betrachtungsweisen haben es leicht, zu derlei bündigen Formeln fortzuschreiten, da sie die Gegebenheiten nach den Begriffen sich richten heißen; wir aber, die wir unsere Definitionen nach den Gegebenheiten richten, glauben uns verpflichtet, diese Definitionen so zu bilden, wie die Sachen selbst sie uns gebieten, auch wenn wir uns um die bequeme Schlagkraft der These bringen. Wir können das Unbewußte nicht einfacher definieren, als die unter dem Begriff befaßten Fakten sind. Es läßt sich dabei nicht leugnen, daß
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