Gesammelte Werke
Bewußtseinszusammenhangs. Daß die Erinnerung nicht atomistisch zu denken ist, sondern daß uns Erinnerungen auch bloß durch Gestaltqualitäten gegeben sein können, ist für unsere Auffassung nicht minder evident als für die Bergsons und gewiß evidenter als für die phänomenologische, die stets und stets wieder in Merkmalatomistik gerät; dies eben nötigt uns ja zu einem Ansatz des Begriffs des Unbewußten, der zwischen unseren Erlebnissen, auf Grund ihrer Zugehörigkeit zum gleichen Bewußtseinszusammenhang, mehr Beziehungen bestehen läßt, als sie durch Erinnerung, Erkenntnis der Identität, Erkenntnis der Ähnlichkeit
allein
und im Sinne der Cartesianischen clara et distincta perceptio gegeben wären. Aber alle jene Relationen haben ihre Gültigkeit allein im Bewußtseinszusammenhang, der sich auf Grund der transzendentalen Gesetzmäßigkeiten konstituiert. Wir haben keinerlei Recht, die Gestaltzusammenhänge zu verdinglichen, sie sind uns Zusammenhänge des Phänomenalen allein, und die »Selbstheit«, die uns gegeben sein soll, ist allemal nur ein Phänomenales, dessen Einordnung in die Objektwelt allein auf Grund der Transzendentalbedingungen sich vollzieht. Insoweit die transzendentale Apparatur eine Abstraktion vom Eindrucksmaterial bedingt – und die Erkenntnis der Ähnlichkeit, eine konstitutive transzendentale Tatsache schlechthin und die spezifische Bedingung aller Erkenntnis von dinglichem Sein, ist, wie Cornelius in der »Transcendentalen Systematik« dargetan hat, notwendig in der einen oder anderen Hinsicht unbestimmt und »abstrakt« –, ist auch die Subsumtion der Phänomene unter psychische Dingbegriffe notwendig abstrakt und mithin auch der Begriff des Unbewußten abstrakt konstituiert. Damit ist jedoch nichts gegen seine Gültigkeit ausgesagt; wofern man nicht die notwendige Abstraktheit seines erkenntnismäßigen Rechtsausweises mit einer Merkmalatomistik zusammenbringt, von der bei unserer Auffassung keine Rede ist. Es ist vielmehr nur gesagt: daß bei allen unbewußten Tatsachen, wofern die Rede davon legitim sein soll, ihre Erkenntnis in der gleichen Weise sich auszuweisen hat wie die von Raumdingen, nämlich durch das Eintreten von erwarteten Phänomenen; und daß für unbewußte Tatbestände der Vergangenheit die Erklärung durch Bewußtes zu leisten ist, daß also die klare Erinnerung an sie hergestellt werden muß, wenn wir die Einordnung der betreffenden Tatbestände in dingliche Zusammenhänge als berechtigt erkennen sollen. Die Möglichkeit dieser Reduktion des Unbewußten auf Bewußtes gibt den einzigen Rechtsgrund für die Gültigkeit des Begriffs des Unbewußten überhaupt ab. Da die letzte transzendentale Tatsache, die die Erkenntnis des Unbewußten möglich macht, die Tatsache der Erinnerung ist, so bleibt sie für alle unbewußten Tatbestände, die als vergangen gedacht werden, zugleich aber auch für die gegenwärtigen, soweit ihr gesetzmäßiger Zusammenhang mit Vergangenem ausgemacht werden soll, die letzte notwendige Bedingung. Bergsons Satz, Bewußtsein bedeute Gedächtnis, ist also in diesem prägnanten Sinne zu akzeptieren; Gedächtnis ist die letzte uns zugängliche Möglichkeit der Unterscheidung des Unbewußten vom Bewußten und der Bewußtmachung des Unbewußten. Wenn freilich Bergson das Gedächtnis als eine Tatsache interpretiert, die sich auf Grund irgendwelcher Intuitionen konstituiert, so ist, wenn anders damit überhaupt mehr behauptet ist als der gestaltqualitative Zusammenhang, der zwischen den Einzelerlebnissen besteht, völlig deutlich zu machen: daß zwar die Erinnerungserlebnisse selbst unmittelbar gegeben sind, das Erinnerte, auch das rudimentär Erinnerte jedoch mittelbar, nämlich durch sie; und daß die Funktion des Gedächtnisses eine vermittelnde, symbolische ist; niemals also eine Intuition in dem von Bergson postulierten Sinne einer Erkenntnis, die ohne Symbole auskommt.
Damit ist erkenntnispraktisch ein Doppeltes gefordert: einmal, daß zwar der Begriff des Unbewußten selbst als eine Form des gesetzmäßigen Bewußtseinszusammenhanges und damit als eine Form der Erkenntnis zu behandeln ist; daß wir also gewisse Tatbestände widerspruchslos in unseren Erkenntnisbesitz einzuordnen in der Lage sind allein dann, wenn wir sie als unbewußt im bezeichneten Sinne verstehen; daß aber von einer Erkenntnis dieser Tatbestände selbst nur dann die Rede sein kann, wenn wir sie uns zum Bewußtsein bringen; womit sie aufhören, unbewußte
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