Gesammelte Werke
dem Begriff, so wie wir ihn gebildet haben, reichlich verschieden Geartetes untersteht. Das Gemeinsame dafür, das ihn prägt, ist die Bestimmung alles Unbewußten als eines Psychischen gegenüber dem Räumlichen und zugleich die Unterschiedenheit von allem aktuellen und deutlichen Bewußtsein im engeren Sinne; vom unmittelbar Gegebenen sowohl wie von der klaren Erinnerung an ein Erlebnis. Man muß sich freilich klar darüber sein, daß der Begriff der letzteren bereits eine weitgehende Abstraktion darstellt; daß im empirischen Bewußtsein niemals »bewußte Erinnerung« vorliegt, ohne daß wir auf Grund der Gestaltrelationen gleichzeitig auch von »unbewußter« im Sinne der durchgeführten Betrachtung zu reden hätten. Unter diesem Gesichtspunkt, der Unbewußtheit als integrierendes Moment auch der primitivsten Weise mittelbarer Gegebenheit herausstellt, bestätigt sich uns die Tatsache der Unbewußtheit neuerlich als eine transzendentale, schlechthin allgemeine Bedingung unserer Begriffsbildung. Um methodisch den Begriff des Unbewußten scharf herauszuheben, sind wir jedoch gleichwohl berechtigt, unbewußte Erinnerung von bewußter abstraktiv zu sondern. Die Mannigfaltigkeit der unter dem Begriff des Unbewußten befaßten Tatbestände macht es uns zur Aufgabe, diesen Begriff ausreichend zu
differenzieren.
Wir werden, um zu einer solchen Differenzierung zu gelangen, keines anderen Verfahrens bedürfen, als den hier festgestellten Begriff des Unbewußten auf die im vorigen Kapitel gegebene Analyse der Konstitution dinglicher Begriffsbildungen für das empirische Ich und dessen Teile anzuwenden. Bevor wir jedoch mit dieser Aufgabe beginnen, haben wir noch die allgemeinste und fundamentale Gesetzmäßigkeit für die Anwendung des Begriffs des Unbewußten zu betrachten.
Diese Gesetzmäßigkeit läßt sich aussprechen in der Form: alles Unbewußte ist ausnahmslos und notwendig bezogen auf Bewußtes in der Weise, daß es Zusammenhänge von Bewußtem (ohne daß jene übrigens bereits seelendinglicher Art sein, d.h. den Charakter von Gesetzen haben müßten) abgekürzt unter sich befaßt und in seinem Bestand ausweisbar ist allein durch den Rekurs auf Bewußtes. Da die unmittelbaren Gegebenheiten selbst, in denen die unbewußten Zusammenhänge ihren Grund haben, einmalig und unwiederholbar schlechthin sind, so ist der eigentliche Rechtsausweis für die Begriffsbildungen des Unbewußten die vollzogene
Erinnerung
an die Tatbestände, die uns durch unser gegenwärtiges Erlebnis als unbewußte mittelbar gegeben sind; ohne ausdrücklich erinnert zu sein; deren Zusammenhang eben uns bewußt heißt. Es tritt hier scharf der Unterschied unserer Auffassung von der Bergsons hervor, für den die unbewußten, durch Intuition zu gebenden Tatbestände allemal diejenigen sind, die nicht durch Symbole, sondern unmittelbar gegeben sind; ebenso übrigens redet die Phänomenologie von der »Selbstgegebenheit« der betreffenden Gegenstände. Demgegenüber sind für uns unbewußte Tatbestände stets und ausschließlich mittelbar, d.h. eben gerade durch Symbole gegeben, und die Aufgabe unserer Erkenntnis von Unbewußtem ist es, die Symbolik, in der sie uns zur Gegebenheit kommen, zu einer klaren und auf Grund der Gesetzmäßigkeiten unseres Bewußtseins völlig verständlichen zu machen; mithin auf die einfachsten Formen der mittelbaren Gegebenheit, die letzten unserer Bewußtseinsanalyse zugänglichen, zurückzuführen. Diese letzten uns erreichbaren symbolischen Tatbestände sind aber die Tatbestände der einfachen Erinnerung. Unser Erkenntnisziel muß also, wo es um den Ausweis der unbewußten Tatbestände geht, auf die Herstellung einfacher, völlig deutlicher Erinnerung gerichtet sein. Der Einwand, daß uns durch Erinnerung die erinnerten Erlebnisse nicht in ihrer »Selbstheit« – wir wiesen bereits darauf hin –, sondern stets als bereits geformte und irgendwie veränderte gegeben würden, verfängt nicht. Denn einmal haben wir von unseren Erlebnissen, nachdem sie einmal vergangen sind, überhaupt keine andere Kenntnis als eben unsere Erinnerung; auch die vom Einwand prätendierte Inadäquatheit unserer Erinnerung setzt selbst Erinnerung voraus und wäre darum notwendig ebenso inadäquat wie unsere; geriete aber zudem in Widersprüche mit sich selbst, da sie ja behauptet, erinnerungsunabhängig verfahren zu können. Dann aber ist Erinnerung die notwendige Form der Einordnung unserer Einzelerlebnisse in die Totalität des
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