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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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anständige Aufzug blieb er gern zwischen den Geschossen stecken, war immerzu besetzt, ließ die eingeschraubten Glühlampen durchbrennen und verlangte eine vorbildliche und tadellose Handhabung der Schachttüren. Betrat man die Kabine, konnte man nie mit Sicherheit sagen, wo und wann man sie wieder verlassen würde. Eine Besonderheit hatte unser Aufzug gleichwohl: Er weigerte sich, über das zwölfte Geschoss hinauszufahren. Das heißt, natürlich hatte es in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen es Schlauberger schafften, dem widerspenstigen Lift das Zaumzeug anzulegen und mit dem richtigen Schenkeldruck geradezu fantastische Höhen zu erklimmen. Für den gewöhnlichen Menschen aber blieb das gesamte, schier endlos aufragende Gebäude des Instituts oberhalb des zwölften Geschosses ein einziger weißer Fleck. Über diese Bereiche, die fast gänzlich von der Welt und jeglichem administrativen Einfluss abgeschnitten waren, kursierten alle möglichen, häufig auch widersprüchlichen Gerüchte. So behauptete man zum Beispiel, im einhundertvierundzwanzigsten Geschoss gerate man in einen Parallelraum mit anderen physikalischen Eigenschaften. Im zweihundertdreizehnten wohnte angeblich ein unbekannter Stamm von Alchimisten – die geistigen Erben des berühmten Geheimbunds »Bund der Neun«, der seinerzeit von dem aufgeklärten altindischen Herrscher Ashoka gegründet worden war.Und im eintausendsiebzehnten Stock sollten der Fischer und seine Frau noch immer ein ungetrübtes Leben am Ufer des blauen Meeres führen, mitsamt den Nachkommen des goldenen Fisch leins.
    Mich persönlich, wie auch Edik, interessierte vor allem das sechsundsiebzigste Geschoss. Laut Inventarverzeichnis lagerte dort der »Ideale Schwarze Kasten«, der für unser Rechenlabor gebraucht wurde; dort wohnte auch eine gewisse »Sprechende Wanze«, die die Abteilung für Lineares Glück schon lange dringend benötigte. Soviel wir wussten, befand sich im sechsundsiebzigsten Stock so etwas wie ein Lager für defizitäre Erscheinungen aus Natur und Gesellschaft, und viele Mitarbeiter brannten schon darauf, dorthin zu gelangen und mit ihren gierigen Pfoten in die Schatzkammer zu greifen. Fjodor Simeonowitsch zum Beispiel träumte vom granulierten Boden für Optimismus, der sich dort angeblich über mehrere Hektar erstreckte. Die Jungs aus der Abteilung für Soziale Meteorologie brauchten dringend zumindest einen qualifizierten »Schuhflicker« – und dort oben waren gleich drei eingetragen, allesamt mit einer effektiven Temperatur in der Nähe des absoluten Nullpunkts. Cristóbal Joséwitsch Junta wiederum, seines Zeichens Leiter der Abteilung für den Sinn des Lebens und Doktor der unglaublichsten Wissenschaften, konnte es kaum erwarten, sich im sechsundsiebzigsten Stock das einzige Exemplar des »Flügellosen Bodenständigen Traums« zu angeln, um selbiges auszustopfen. Schon sechsmal hatte er im Lauf der letzten fünfundzwanzig Jahre unter Einsatz seiner außerordentlichen Fähigkeit zu vertikaler Transgression versucht, mit Gewalt durch die Geschossdecken bis ins sechsundsiebzigste vorzudringen, doch nicht ein Mal war es ihm gelungen: Die Architekten des Altertums waren klug gewesen und hatten sämtliche Stockwerke oberhalb des zwölften gegen jegliche Formen der Transgression hermetisch abgesichert. Somit markierte die erfolgreiche Inbetriebnahme des Aufzugs tatsächlich eine neue Etappe im Leben unseres Kollektivs.
    Als wir vor Fjodor Simeonowitschs Büro ankamen, öffnete der schon etwas betagte, aber durchaus saubere und ansehnliche Hausgeist Tichon freundlich die Tür. Wir traten ein.
    Fjodor Simeonowitsch war nicht allein. An seinem breiten Arbeitstisch saß, lässig in einen bequemen Sessel gelehnt, der dunkelhäutige Cristóbal Joséwitsch und zog an einer aromatisch duftenden Havanna. Fjodor Simeonowitsch schritt in seinem Büro auf und ab. Den Kopf gesenkt und die Daumen unter seine grellen Hosenträger geklemmt, versuchte er, exakt auf dem Rand seines schemachanischen Teppichs zu balancieren. In den Kristallschalen auf dem Tisch prangten paradiesische Früchte: große, rotbäckige Äpfel der Erkenntnis des Bösen sowie offensichtlich ungenießbare, aber aus irgendeinem Grund dennoch immer wurmstichige Äpfel der Erkenntnis des Guten. Ein Porzellangefäß neben Cristóbal Joséwitschs Ellbogen war randvoll mit Apfelresten und Zigarettenkippen.
    Als Fjodor Simeonowitsch uns bemerkte, blieb er stehen.
    »Da s-sind sie ja«, sagte er ohne sein

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