Gesammelte Werke 6
Diana.
»Doktor Quadriga mag ihn auch nicht. Warum eigentlich?«
»Widerliche Visage«, antwortete Diana. »Eine blonde Bestie. Den Typ kenne ich: harte Männer ohne Ehre und Gewissen, Herrscher über Dummköpfe.«
»He, he«, wunderte sich Viktor. »Und ich dachte, solche Männer gefielen dir.«
»Es gibt keine Männer mehr«, widersprach Diana. »Es gibt nur noch Faschisten oder Waschlappen.«
»Und ich?«, erkundigte sich Viktor interessiert.
»Du? Du hast eine allzu große Vorliebe für marinierte Neunaugen. Und für Gerechtigkeit.«
»Stimmt. Aber ich glaube, das ist nicht so schlimm.«
»Schlimm ist es nicht. Aber wenn du die Wahl hättest, wür dest du die Neunaugen wählen, und das ist schlimm. Nur gut, dass du Talent hast.«
»Warum bist du heute so giftig?«, fragte Viktor.
»Ich bin immer giftig. Du hast Talent, und ich habe einen Giftstachel. Wenn man dir das Talent nimmt und mir den Giftstachel, bleiben zwei sich paarende Nullen übrig.«
»Null ist nicht gleich Null«, bemerkte Viktor. »Du gäbst nicht mal eine schlechte Null ab – eine schlanke, herrlich gebaute Null. Und außerdem würdest du, wenn man dir den Giftstachel nähme, gutmütig, was gar nicht so schlecht wäre …«
»Wenn man mir den Giftstachel nimmt, werde ich zur Qualle. Wenn man mich gutmütig will, muss man den Giftstachel durch Gutmütigkeit ersetzen.«
»Drollig«, meinte Viktor. »Normalerweise philosophieren Frauen ja nicht gern. Fangen sie aber erst einmal damit an, sind sie erstaunlich kategorisch. Wie kommst du eigentlich darauf, dass in dir nur ein Giftstachel steckt und keinerlei Gutmütigkeit? So etwas gibt es ja gar nicht. In dir steckt auch Gutmütigkeit, aber sie ist hinter dem Giftstachel verborgen. Jeder Mensch hat von allem ein bisschen, aber erst das Leben bringt die einzelnen Bestandteile dieses Gemischs ans Licht …«
In den Saal polterte eine Gruppe junger Leute. Sie benahmen sich äußerst ungezwungen: beschimpften den Kellner, scheuchten ihn nach Bier, besetzten einen Tisch in der hintersten Ecke, unterhielten sich laut und lachten schallend. Ein kräftiger langer Kerl mit wulstigen Lippen und roten Backen tänzelte, mit den Fingern schnalzend, zum Tresen. Teddy schenkte ihm ein. Der Kerl nahm mit zwei Fingern das Glas, spreizte den kleinen Finger ab und kehrte dem Tresen den Rücken. Dann stützte er die Ellbogen auf, kreuzte die Beine und sah sich triumphierend in dem leeren Saal um. »Hallo, Diana!«, brüllte er. »Wie geht’s?« Diana lächelte ihm gleichgültig zu.
»Was ist das für ein Vogel?«, wollte Viktor wissen.
»Ein gewisser Flamin Juventa«, erwiderte Diana. »Der Neffe des Polizeichefs.«
»Den hab ich schon mal irgendwo gesehen«, meinte Viktor.
»Zum Teufel mit ihm«, bemerkte Diana ungeduldig. »Alle Menschen sind Quallen und haben längst nicht von allem ein bisschen. Nur sehr selten begegnet man einem Menschen, der etwas Eigenes besitzt – Gutmütigkeit, Talent, einen Giftstachel. Nimmst du’s ihm weg, bleibt nichts übrig, und er wird zur Qualle wie alle andern. Anscheinend bildest du dir ein, dass ich dich mag, weil du eine Vorliebe für Neunaugen und für Gerechtigkeit hast? Unsinn! Was zählt, sind dein Talent, deine Bücher und dass du ein bekannter Mann bist, ansonsten bist du genauso eine Schlafmütze wie alle anderen.«
»Was du da erzählst«, erklärte Viktor, »ist so abwegig, dass ich nicht mal beleidigt bin. Aber sprich ruhig weiter; es ist interessant, wie sich dein Gesicht verändert, während du sprichst.« Er zündete eine Zigarette an und reichte sie ihr. »Sprich weiter.«
»Quallen«, sagte sie bitter. »Glitschige, dumme Quallen. Sie krabbeln umher, schießen, wissen selbst nicht, was sie wollen, können nichts und lieben nichts wirklich … wie Wür mer im Abort.«
»Pfui«, ekelte sich Viktor. »Ein zweifellos einprägsames, aber durch und durch unappetitliches Bild. Und überhaupt sind das alles Banalitäten. Diana, meine Liebe, du bist keine Denkerin. Im vorigen Jahrhundert und in der Provinz hättest du damit noch Furore gemacht. Für die Gesellschaft wäre es ein wohltuender Schock gewesen, undbleiche Jünglinge mit brennenden Blicken hatten sich an deine Fersen geheftet. Aber heute versteht sich das von selbst. Jeder weiß, was der Mensch ist. Was man mit ihm machen soll – das ist die Frage. Aber auch sie hängt uns allmählich zum Hals heraus.«
»Und was macht man mit den Quallen?«
»Wer? Die Quallen?«
»Wir.«
»Soviel ich
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