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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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an die Wand und zischte mir geifernd ins Gesicht: »Merk dir, Sorokin, es ist nichts gewesen! Klar?«
    Das kam so überraschend und wirkte so bedrohlich, dass ich wieder in dieselbe Panik geriet, in der ich vor dem Vampir Iwan Dawydowitsch Martinson davongelaufen war.
    »Hör auf, was willst du …«, murmelte ich und versuchte meinen Pullover aus seinen Fingern zu lösen; doch die Finger waren steif und hatten den Pullover fest im Griff, fast wie ein Schraubstock. Da schrie ich, so laut ich konnte: »Scher dich zum Teufel, bist du denn verrückt geworden?« Schließlich konnte ich mich von Kostja, dieser bleichen Spinne, befreien und hielt ihn mühsam auf Distanz. Ich warnte: »Komm zur Vernunft, du Vogelscheuche! Was hast du denn?«
    Ich war wesentlich stärker als er und wusste, dass ich ihn abwehren und, falls nötig, sogar in die Knie zwingen konnte, sodass sich meine anfängliche Panik zerstreute und nur diese widerliche Angst blieb – nicht Angst um die eigene Haut, sondern Angst aus dieser peinlichen und überaus idiotischen Situation heraus: Wenn uns bloß niemand beobachtete, wie wir dort auf den Fliesen herumtappten und uns gegenseitig heiser ins Gesicht keuchten …
    Eine Zeit lang zitterte und spuckte er noch, wobei er im merzu wiederholte: »Es ist nichts gewesen! Klar? Gar nichts!« Dann aber fiel er in sich zusammen und begann, mir unter Tränen zu erklären, dass ihm da ein Fauxpas passiert war; das Institut sei geheim, und nicht nur ich, nein, selbst er dürfe nichts davon wissen. Für unsereins sei diese Sache eine Nummer zu groß, und es könne ziemliche Unannehmlichkeiten geben. Ihm habe man deswegen schon eine Rüge erteilt, und wenn ich jetzt irgendwo auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlöre oder etwas andeutete …
    Ich ließ ihn los. Er rieb sich, die Stirn in Falten gezogen, seine rot angelaufenen Handgelenke und plapperte immer weiter, unter Tränen und stets dasselbe, sogar mit denselben Worten. Er war völlig niedergeschmettert, und ich hegte keinen Zweifel daran, dass er wieder nur log, von der ersten bis zur letzten Silbe. Aber auch jetzt begriff ich nicht, weshalb, und worum es in Wirklichkeit ging. Ich wusste nur, dass tatsächlich etwas schiefgelaufen war: zu Hause, vor dem Fahrstuhl. Kostja hatte in seiner Todesangst mir gegenüber etwas ausgeplaudert, was er nicht hätte sagen dürfen. Andererseits, woher sollte er, der Reimschmied Kudinow, spezialisiert auf Knüttelverse zu Jubiläen und Feiertagen, irgendwelche Verschlusssachen kennen? Es war höchstens denkbar, dass der fürchterliche Martinson in seinem Abort hinter den Skeletten heimlich Stoff herstellte, den Kostja ebenso heimlich vertrieb … Nein, nichts als Abscheu empfand ich für ihn, und ich hatte den heftigen Wunsch, möglichst weit fort von ihm zu sein.
    »Schon gut«, sagte ich, so ruhig ich konnte. »Brauchst mich nicht zu agitieren. Überleg doch selbst, was habe ich denn mit alldem zu schaffen? Wenn nichts gewesen sein soll, ist eben nichts gewesen. Widerspreche ich etwa?«
    Er wollte nun zum dritten Mal seine Erklärungen herbeten, doch ich schob ihn ohne Pardon aus dem Weg und stieg mit der mir größtmöglichen Eile die Treppe hinab. Meine Beine zitterten, das rechte Knie zuckte, und im Hals steckte ein dicker Kloß. Ich drehte mich auch nicht um, als mir von oben hinterhergezischelt wurde: »Denk an dich, Sorokin! Ich meine es ernst!« Sah ich von der Intonation ab, war das ein vernünftiger Rat. Und nichts von alldem wäre passiert, hätte mich nicht das Rindvieh Lenja Fips angerufen … Mein Schicksalslenker hatte heute ganze Arbeit geleistet, keine Frage. Nein, Jungs, zurück nach Hause, zum heimischen Herd, zu meinem Kognak und der Blauen Mappe!
    Als ich an der Garderobe den Reißverschluss meiner Jacke zuzog, bemerkte ich im Spiegel etwas Vertrautes: Auf der Bank direkt hinter mir sah ich einen schwarz-grau-karierten Mantel. Ich wandte mich um und blickte genauer hin. Dort saß der Mann aus der Metro – das rotblonde Bärtchen, die Brille mit blitzender Metallfassung, der Wendemantel. Der Mann saß einsam auf der langen weißen Bank im fast leeren Vorsaal der Klinik in Birjulewo und las ein Buch.

4
    Banew | Die Wunderkinder
    »Ich habe Sie lange nicht mehr in der Stadt gesehen«, sagte Pavor mit verschnupfter Stimme.
    »So lange nun auch wieder nicht«, widersprach Viktor. »Nur zwei Tage.«
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen, oder möchten Sie alleine sein?«, erkundigte sich Pavor.
    »Setzen

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