Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
Vom Netzwerk:
haben sie mir verpasst, diese Parasiten! Weißt du, erst heute habe ich begriffen, was für eine furchtbare Folter es gewesen sein muss, wenn einem die Inquisitoren Wasser in den Allerwertesten gepumpt haben … Mir sind die Augen aus den Höhlen getreten …«
    Und er begann wieder von vorn: wie er gespien und Durch fall gehabt hatte und so weiter. Dabei machte er Witze, manch mal sogar recht gelungene, überhaupt versuchte er alles humorvoll darzustellen; doch hinter diesem Humor spürte ich eine ungesunde Verkrampfung, und sehr bald kam mir in den Sinn, dass es sich vorher gar nicht um eine Dankbarkeitseuphorie gehandelt hatte, sondern die durchlittene Todesangst in ihm toste und sich jetzt nach außen ergoss. So wollte ich ihm schon beruhigend das Knie tätscheln, als er mich plötzlich unterbrach und fast flüsternd fragte: »Was guckst du so?«
    »Wie?« Ich war verblüfft. »Wie gucke ich denn?«
    Sein Blick flog im Zickzack über mein Gesicht und glitt dann in das Dunkel hinter der Palme.
    »Nein, schon gut …«, wich er mir aus, sah mich aber wieder an. »Bist heute nicht in Form, wie ich sehe, was? Hast wohl einen gezwitschert, he?«
    »Könnte sein«, erwiderte ich und konnte mich nicht beherrschen zu ergänzen: »Wärst du nicht gewesen, säße ich gern jetzt noch dort …«
    »Nicht so schlimm!« Er machte eine wegwerfende Geste. »Morgen oder übermorgen werfen sie mich hier raus, dann setzen wir beide uns zusammen, ich werde dir Kognak anbieten, du wirst staunen … aus dem Kaukasus …«
    Und er fing an, mir zu erzählen, was für ein Kognak ihm aus dem Kaukasus geschickt worden war. Von Kognak zu reden ist ebenso unsinnig, wie die Schönheit von Musik mit Worten zu beschreiben. Ich schaltete ab. Mir war auf einmal übel. Die weißen Wände, dieser Geruch nach Karbolsäure und Tod, der weiße Kittel der Schwester, der in der Ferne schimmerte, die leeren Tropfflaschen neben den Zimmertüren … Klinik, Schwermut, Isolation. Weshalb, zum Teufel, saß ich hier? Schließlich hatte nicht ich die Vergiftung!
    »Hör mal«, sagte ich entschlossen. »Entschuldige, aber meine Tochter wollte heute noch kommen, verstehst du …«
    »Aber selbstverständlich!«, rief er. »Geh nur! Und vielen Dank, dass du gekommen bist.«
    Er stand auf. Ich auch – äußerst verwirrt. Einige Zeit blickten wir einander schweigend in die Augen. Ich war erstaunt, nahezu fassungslos, weil ich ihn einfach nicht verstand: Hatte er mich wirklich nur deshalb so inständig durch seine Frau und die Diensthabende im Klub hierherbitten lassen, damit er mir zweimal in allen Einzelheiten schildern konnte, wie ihm Magen und Darm gespült worden waren? Kostja schien seinerseits auch durcheinander zu sein, das erkannte ich an seinem Blick. Und plötzlich fragte er, nun wieder halblaut: »Was hast du?«
    Das war die nächste unverständliche Frage. Ich erwiderte vorsichtig: »Nichts, nichts. Ich gehe gleich.«
    »Dann geh«, murmelte Kostja. »Danke …«
    Auch das klang vorsichtig und unsicher, als erwartete er noch etwas von mir.
    »Willst du mir weiter nichts sagen?«, erkundigte ich mich.
    »Was denn?«, fragte Kostja ganz leise zurück.
    »Ich weiß nicht, was!«, knurrte ich, außerstande, meine Gereiztheit länger zu verbergen. »Ich weiß nicht, warum du mich aus dem Klub geholt hast. Mir wurde gesagt: Die Sache ist dringend, du musst unbedingt heute noch zu ihm, sofort … Welche Sache? Was ist für dich so dringend?«
    »Wer hat das gesagt?«, wollte Kostja wissen, und sein Blick trübte sich.
    »Deine Frau hat es gesagt … und Lidija Nikolajewna.«
    Und jetzt stellte sich heraus, dass sie ihn beide falsch verstanden hatten. Er hatte nicht im Geringsten gefordert, dass ich am selben Tag und sofort käme, und erst recht nicht von einer dringenden Sache gesprochen. Er log, das sah ich mit bloßem Auge. Aber warum er log und was wirklich dahintersteckte – das blieb mir ein Rätsel.
    »Also gut«, sagte ich schließlich und winkte ab. »Haben sie dich eben falsch verstanden. Gott sei Dank bist du über den Berg. Und ich gehe nun wohl.«
    Ich steuerte dem Ausgang zu, und er trippelte neben mir her, griff nach meiner Hand, drückte mir die Schulter, dankte und entschuldigte sich fortwährend und sah mir immerzu in die Augen, doch dann, auf dem Treppenabsatz, neben dem Telefonautomaten, geschah etwas völlig Absurdes: Kostja Kudinow unterbrach plötzlich sein Gestammel, krallte die Hände in meinen Pullover, drückte mich mit dem Rücken

Weitere Kostenlose Bücher