Gesammelte Werke 6
Korbflasche. Außerdem eilte der Pförtner herbei, der zwar nicht mehr der Jüngste, seiner Taktik nach aber ein ehemaliger Soldat war – er schwenkte sein Schlüsselbund wie ein Koppel mit einem in der Scheide steckenden Bajonett. So blieb für die beiden Kellner, die aus der Küche herbeiliefen, gar nichts mehr zu tun übrig. Der Neffe suchte das Weite und vergaß sogar sein Kofferradio auf dem Tisch. Einer der Kämpen – der, den Diana mit der Flasche niedergestreckt hatte – blieb unter dem Tisch liegen. Die vier anderen wurden von Viktor und Teddy, die sich gegenseitig lautstark anfeuerten, buchstäblich mit den Fäusten aus dem Saal gejagt, durch die Hotelhalle getrieben und mit Fußtritten in die Drehtür befördert. Dabei bekamen Viktor und Teddy so viel Schwung, dass sie ebenfalls draußen landeten, und erst dort, im Regen, wurden sie sich ihres ungeteilten Siegs bewusst und beruhigten sich allmählich.
»Diese Rotznasen«, beschwerte sich Teddy, während er für sich und Viktor zwei Zigaretten auf einmal anrauchte. »Die haben sich da etwas angewöhnt – neuerdings gibt es jeden Donnerstag Krawall. Letztes Mal hab ich nicht aufgepasst, da nahmen sie gleich zwei Sessel auseinander. Und wer darf sie bezahlen? Ich!«
Viktor betastete sein geschwollenes Ohr.
»Der Neffe ist uns entwischt«, stellte er bedauernd fest. »Da ist gerade der, der’s am meisten verdient gehabt hätte, billig davongekommen.«
»Gut so«, meinte Teddy sachlich. »Von dem Dicklippigen lass lieber die Finger. Du kennst seinen Onkel, und auch er selbst ist eine ›Stütze der Heimat‹ und der ›Ordnung‹ oder wie sie sich nennen. Aber deine Fäuste hast du gut zu gebrauchen gelernt, Herr Schriftsteller. Ich weiß noch, was für ein Hänfling du früher warst, und wenn’s brenzlig wurde, bist du in Deckung gegangen. Lobenswert!«
»Das bringt der Beruf so mit sich«, seufzte Viktor. »Meine Muskeln sind nichts als ein Produkt des Existenzkampfs. Wie heißt es doch immer bei uns: alle auf einen. Und der Herr Präsident für alle.«
»Kommt’s bei euch etwa auch zu Handgreiflichkeiten?«, fragte Teddy einfältig.
»Was dachtest du denn! Da wird in einem Artikel gelobt, du seist ganz vom Nationalbewusstsein durchdrungen; gehst du dann aber zu dem Kritiker hin, befindet er sich bereits in bester Gesellschaft – umgeben von lauter jungen, übermütigen Kraftprotzen, Geschöpfen des Präsidenten …«
»Na, so was«, sagte Teddy mitfühlend. »Und was passiert dann?«
»Kommt ganz drauf an. Mal so, mal so.«
Vor dem Hotel hielt ein Jeep, die Tür öffnete sich, und der junge Mann mit der Brille und der Aktentasche sowie sein hochgewachsener Begleiter stiegen aus; gemeinsam suchten sie unter einem Regenmantel Schutz. Hinter dem Lenkrad saß Golem. Der Lange sah mit lebhaftem, fast professionellem Interesse zu, wie der Pförtner den letzten, noch halb bewusstlosen Randalierer durch die Drehtür scheuchte.
»Schade, dass der nicht dabei war«, flüsterte Teddy und wies mit den Augen auf den Langen. »Der hat’s drauf! Kein Vergleich zu dir – ein Profi, verstehst du?«
»Verstehe«, flüsterte Viktor zurück.
Der junge Mann mit der Aktentasche und sein hochgewachsener Begleiter trabten an ihnen vorbei und verschwanden im Hoteleingang. Golem folgte den beiden in gemächlichem Schritt und lächelte Viktor schon von Weitem zu; dann aber vertrat ihm Sursmansor mit einem weißen Päckchen unter dem Arm den Weg. Halblaut sagte er etwas zu Golem, worauf dieser zu lächeln aufhörte und wieder in den Jeep stieg. Sursmansor kletterte auf den Rücksitz, und der Jeep rollte davon.
»Ach!«, beschwerte sich Teddy. »Wir haben den Falschen geschlagen, Herr Banew. Wir vergießen für ihn unser Blut, und er fährt einfach mit dem erstbesten Auto davon.«
»So kannst du das nicht sehen«, meinte Viktor. »Er ist ein kranker, unglücklicher Mensch; heute hat’s ihn erwischt, morgen bist du dran. Wir beide nehmen uns jetzt einen zur Brust, und ihn schaffen sie ins Leprosorium.«
»Von wegen Leprosorium!«, widersprach Teddy unversöhn lich. »Du verstehst nichts von unserem Leben hier, Herr Schriftsteller, gar nichts.«
»Hab ich etwa die Verbindung zur Nation verloren?«
»Nation hin, Nation her, du hast einfach keine Ahnung. Leb mal eine Weile hier: Seit Jahren nichts als Regen, auf den Feldern fault alles, die Kinder machen, was sie wollen. Aber das ist noch nicht alles – in der Stadt gibt es keine Katzen mehr, und wir können
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