Gesammelte Werke 6
Eisentüren, die teils rechts, teils links auftauchten. Auf dem Fußboden knarrende, verzogene Bretter, die gefährlich nachgaben. Der Flur verlief nicht gerade, sondern im klassischen Zickzack einer Befestigungsanlage, wobei jeder Abschnitt dieses Zickzacks höchstens zwanzig Meter maß. Hier war vorgesorgt für den Fall, dass die feindliche Panzerinfanterie unseren Widerstand auf der Wendeltreppe brach, das Mütterlein mit seinem Tischchen überrannte und hereinstürmte. Die Tölpel ahnten ja nicht, was für eine furchtbare Falle hier auf sie wartete: Aus den Abzugsöffnungen unter der Decke würden sich Ströme siedenden Öls ergießen; die Eisentüren sprängen auf, und zum Vorschein kämen Spieße mit handbreiten geschärften Spitzen; die Bret ter unter den Füßen zersplitterten, und hinter jeder Ecke des Zickzackflurs träfen aus nächster Nähe unerbittliche Pfeile … Ich war schweißüberströmt, als ich das Ende des Flurs erreichte.
Wie die redliche Alte vorausgesagt hatte, führte der Flur zum Konferenzsaal. Doch erst an Ort und Stelle verstand ich, was sie mit ihrem Hinweis gemeint hatte: Im Konferenzsaal fand tatsächlich eine Versammlung statt, wahrscheinlich sogar eine Generalversammlung, denn die Leute saßen und standen so dicht gedrängt, dass kein Apfel mehr hätte zu Boden fallen können. Ich sah mich gezwungen, auf der Schwelle stehen zu bleiben – ich kam nicht weiter.
Zunächst dachte ich nicht, dass die Versammlung mein Vorhaben behindern könnte. Es war eine ganz normale Versammlung: ein Tisch mit grüner Decke, eine Wasserkaraffe, am Rednerpult trug einer irgendwas vor, und mindestens dreihundert Leute standen herum (anstatt den wissenschaft lich-technischen Fortschritt voranzutreiben). Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um über das Meer von Köpfen hinweg etwas erspähen zu können, und entdeckte in der entgegengesetzten Ecke des Saals eine unauffällige Tür. Darüber prangte ein weißes Stofftransparent mit der schwarzen Aufschrift »Schriftsteller – hier«. Erst da wurde mir das Aus maß meines Unglücks bewusst.
Zwischen den Versammelten hindurch zu der Tür vorzudringen war ausgeschlossen –ich bin nicht Benkei, der in einem brechend vollen Tempel über Köpfe und Schultern hinwegschreiten kann. Mich stolz umzudrehen und wieder zu gehen war ebenso ausgeschlossen, dafür war ich schon zu weit gekommen. Blieb, logisch gedacht, nur eines: zu warten und darauf zu vertrauen, dass keine Versammlung ewig währt.
Meine nächste Überlegung galt dem Büfett. Irgendwo dort, hinter einer der scheußlichen Eisentüren, gab es Watruschki, Wurstbrötchen, Pepsi-Cola und vielleicht sogar Bier. Ich blickte auf die Uhr: zehn Minuten vor drei. Wenn das Büfett heute überhaupt öffnen würde, dann am ehesten in zehn Minuten, und die ließen sich überstehen. Ich verlagerte mein Körpergewicht auf ein Bein, lehnte mich gegen einen Pfeiler und begann zuzuhören.
Sehr bald wurde mir klar, dass ich an einem Ehrengericht teilnahm. Der Beschuldigte, ein gewisser Shukowitzki, hatte die Angewohnheit, die jungen Mitarbeiterinnen seiner Abteilung unglücklich zu machen. Anfangs ließ man ihm das durchgehen, doch nach dem dritten oder vierten Mal riss der Geduldsfaden: Die Missetaten schrien zum Himmel, und die Opfer beschwerten sich bei der Gewerkschaftsleitung. Der Übeltäter, ein unverschämt gut aussehender Mann in glänzender Chromlederjacke, saß mit finsterer Miene auf einem einzeln stehenden Stuhl links vom Präsidium und wirkte trotzig und verstockt, wenn auch ergeben in sein Schicksal.
Jedenfalls hielt ich die Sache für Theater. Der Vertreter der Gewerkschaftsleitung musste jeden Moment sein Geschwätz beenden, dann würde der Abteilungsleiter das Wort ergreifen und den Angeklagten ans Kreuz des öffentlichen Tadels schlagen. Im selben Moment aber würde er das Gericht um Nachsicht bitten, weil er in seiner Abteilung fast nur Frauen beschäftigte und jeder männliche Mitarbeiter Gold wert war. Dann würde der Vorsitzende in einer kurzen, energischen Rede den Schlussstrich ziehen, und alle würden zum Büfett stürzen.
Während ich diese, wie mir schien, unvermeidliche Entwicklung der Ereignisse abwartete, musterte ich die Gesichter der Anwesenden – meine Lieblingsbeschäftigung in Versammlungen, Sitzungen und Seminaren. Und schon nach einer Minute entdeckte ich zu meinem Erstaunen in der fünften Reihe, direkt gegenüber vom Präsidium, die schuppige Visage unseres Allunionsdrops,
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