Gesammelte Werke 6
satirische Fabel »Bärensorgen« veröffentlicht. Wie groß aber war sein – Oleg Oreschins – Befremden, als er vor ein paar Tagen, in der Dezemberausgabe der Zeitschrift Sowjetisch Hejmland , die Erzählung »Zug der Hoffnung« las, eine Übersetzung aus dem Hebräischen, in der sich haargenau die gesamte Situation, das Sujet und die Anordnung der handelnden Personen seiner – Oleg Oreschins – Fabel »Bärensorgen« wiederholte! Erschüttert holte er auf eigene Faust Erkundigungen ein und fand heraus, dass der genannte S. Kolesnitschenko ein Plagiat begangen hatte, indem er die Erzählung selbst geschrieben und sie dann der Zeitschriftenredaktion als Übersetzung aus dem Hebräischen untergeschoben hatte. S. Kolesnitschenko betrog dabei auch die Redaktion, denn er behauptete, die Übersetzung dieser Erzählung des fortschrittlichen israelischen Schriftstellers Soundso habe sein ans Bett gefesselter Freund angefertigt. Er, Oleg Oreschin, fordere Unterstützung durch seine Kollegen der Aufnahmekommission usw. usf.
Das Fantastischste an dieser unsinnigen Sache war, dass mindestens ein Drittel der Aufnahmekommission sich Oreschins Beschwerde zu Herzen nahm und sogleich lebhaft begann, Maßnahmen vorzuschlagen, von denen eine schrecklicher war als die andere. Doch die Vernunft gewann die Oberhand. Unser Vorsitzender, der sofort begriff, dass dieser Zwist auf seinem Buckel ausgefochten werden sollte, verkündete streng: Er persönlich könne die Entrüstung des Kollegen Oreschin verstehen, doch falle die Angelegenheit mitnichten in die Kompetenz der Aufnahmekommission, und sie könne sich damit auch nicht befassen.
In meiner Einfalt dachte ich damals, die Sache sei somit beendet. Doch offenbar kennt die menschliche Dummheit keine Grenzen. Und Michejitsch hatte recht: Mit Schimpfen, Keifen und fruchtlosem Räsonieren über die Grenzen der Dummheit kam man hier nicht weiter. Ich riss mich also zusammen und teilte in sorgfältig abgewogenen Worten mit, Oleg Oreschins Argumente seien für mich nicht überzeugend. Die Umwandlung einer Fabel in eine Erzählung liege, selbst wenn hier eine solche vorliege, meiner Meinung nach außerhalb der Grenzen eines Plagiats. Übrigens interessiere mich als ehemaligen Übersetzer sehr, wie Kolesnitschenko es fertigbringen konnte, einen eigenen Text als Übersetzung auszugeben. Meiner Meinung nach sei das unmöglich.
Das war nun nicht mehr die Rede eines Knaben, sondern die eines Mannes. Michejitsch hörte sie sich an, ohne zu unterbrechen, dankte und legte den Hörer auf. Über die Ban naja fiel kein Wort mehr.
Ich schob mich hinter meinem Tisch hervor, öffnete die Balkontür und blieb ein wenig auf der Schwelle in der Sonne stehen. Ich fühlte mich ausgelaugt, müde und doch zufrieden. So oder so – meine heutige Aufgabe war erfüllt, sogar mehr als erfüllt. Jetzt konnte ich reinen Gewissens das Drehbuch im Schreibtisch verstauen, die Maschine abdecken und die Zeitungen aus dem Kasten holen. Was ich auch tat.
Außer den Zeitungen fand ich zwei Briefe vor. Einen offiziellen vom Klub; sie luden mich zum Konzert eines mir unbekannten Sängers ein. Ich beschloss, die Einladungskarte Katja zu geben, vielleicht würde sie hingehen wollen.
Das zweite Kuvert war aus festem braunem Papier, selbstgebastelt, die Lasche mit »Scotch« zugeklebt, die Adresse nebst Beifügung »Persönlich. Eigenhändig« mit schwarzer Tusche geschrieben, der Absender fehlte.
Briefe ohne Absender kann ich nicht ausstehen. Ich bekomme selten welche, aber jedes Mal enthalten sie eine Gemeinheit, bringen Unannehmlichkeiten mit sich oder sind ein Quell von Scherereien. Verdrossen wollte ich gerade die Schere aus dem Tischfach nehmen, als wieder das Telefon klingelte.
Diesmal rief Sinaida Filippowna an. Sie erinnerte mich sanft daran, dass in zehn Tagen die nächstfällige Sitzung der Aufnahmekommission stattfinden werde und ich die Bücher der Kandidaten noch nicht zur Einsichtnahme bei ihr abgeholt hätte. Ich fragte, ob über viele Leute entschieden werden müsse, und erfuhr, dass es sich um zwei Prosaiker, zwei Dramatiker, drei Kritiker und Publizisten und einen Dichter der kleinen Form handele. Insgesamt also um acht Personen. Ich fragte, was das sei – ein Dichter der kleinen Form. Sie antwortete, das wisse niemand so genau, doch sei gerade bei diesem Dichter ein Skandal zu erwarten. Ich versprach, demnächst vorbeizukommen.
Wieder ein Skandal. Darüber müsste man schreiben, dachte ich. Über eine
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