Gesammelte Werke 6
Küche schmorte Rindfleisch auf Burgunder Art.
Während ich mich auszog, kam Katja herbeigelaufen, hielt mir ihre heiße Wange hin und begann sogleich aufgeregt etwas von ihrer Arbeit zu erzählen; die nassen Hände streckte sie vor sich wie ein Chirurg vor der Operation.
Erst hörte ich nur mit halbem Ohr zu, weil es mich zum wer weiß wievielten Male verblüffte: eine so hübsche, so – hol’s der Teufel – aufregende junge Frau, aber ein Einfaltspinsel und Pechvogel! Wie war das möglich? Absurd! Immer hatte ich gedacht, eine Frau mit dem gewissen Etwas sei geradezu verdammt zum Erfolg, doch nein … Dreißig Jahre. Zwei Kinder. Der erste Mann in Luft aufgelöst. Der zweite ein Dreckskerl und ewiger Schleimer. In der Arbeit Probleme. Die Dissertation seit drei Jahren fertig, doch zur Verteidigung kam es nicht. Absurd war das, unerklärlich.
Automatisch folgte ich ihr in die Küche, und plötzlich wurde mir klar, dass Katja von merkwürdigen Dingen erzählte, die unmittelbar mich betrafen.
Es stellte sich heraus, dass der Kaderleiter sie heute nach der Mittagspause zu sich gerufen und regelrecht verhört hatte. Die meisten Fragen waren so gewesen, wie man sie aus Fragebögen kennt, doch zwischendrin hatte er, wie zufällig, ein paar Fragen eingestreut, die sie nicht hatte einordnen können. Der hellhörigen Katja waren sie sofort aufgefallen, und sie hatte sie sich – ohne sich etwas anmerken zu lassen – eingeprägt und gab sie mir nun gewissenhaft wieder, eine nach der anderen: Seit wann sie sich an ihren Vater, also mich, erinnere? Ob sie irgendwann in seiner Heimat, also in Leningrad, gewesen sei? Ob sie Vorkriegsfreunde ihres Vaters kenne? Ob ihr Vater sich in ihrer Anwesenheit mit einem dieser Freunde getroffen habe? Ob er ihr von dem Leningrader Haus, in dem er aufgewachsen und vor dem Kriege wohnhaft gewesen sei, erzählt habe und was damit geschehen sei?
Nachdem sie alles heruntergerasselt hatte, schwieg sie und blickte mich abwartend an. Ich schwieg auch, fühlte mit Entsetzen, wie mein Gesicht rot anlief und die Augen aufs Verdächtigste zur Seite rollten. Ich fühlte mich wie ein Vollidiot.
»Papa, hast du vielleicht wieder was angestellt?«, fragte Katja mit verhaltener Stimme.
Man hatte ihr Angst gemacht, und meine Reaktion auf ihre Erzählung verängstigte sie noch mehr. Zur Antwort keuchte ich nur. Tausende Worte lagen mir auf der Zunge, doch sie waren alle – wie zum Trotz – melodramatisch, falsch oder erforderten Gesten voller Pathos: die Hände zum Himmel erheben, die Haare raufen, die Augen verdrehen …
Auf einmal durchzuckte mich ein schrecklicher Gedanke: Wenn sie mich nun im Ausland wieder gedruckt hatten,ohne die WAAP zu informieren? Solche Lumpen, nein, wirklich! Dann brach es aus mir heraus: »Mist, verdammter!«, blaffte ich. »Es war nichts und kann auch nichts sein! Was starrst du mich so an? Hat sich so ein Aas wieder wichtig gemacht … Das kommt vor! Weshalb hat er dich überhaupt zu sich bestellt? Hat er dir das gesagt?«
»Um mit mir zu reden«, antwortete Katja. »Ich reise vielleicht nach Ganda …«
»Was für ein Ganda? In Afrika? Und die Zwillinge?«
Sie hatte bereits alles bedacht. Die Banditen nimmt Klara, die Wohnung überlässt sie den Schtschukins, die Gesammelten Werke kaufe ich. Mir gefiel das alles überhaupt nicht. Wenn die Banditen bei Klara sind, wie soll ich sie dann sehen? Ich habe keine Lust, mit Klara und ihrem General zusammenzutreffen, keine Lust, die Gesammelten Werke zu kaufen. Außerdem, was wird aus Albert? Soll er auch zu Klara? Ach so, Katjas Mann wird ohnehin nach Sysran versetzt! Großartig! Gratuliere! Wieder mal in Mutters Fußstapfen! Übrigens ist das deine Sache. Aber vergiss nicht, in Ganda wird jetzt geschossen!
Sie weiß, wie sie mich zu nehmen hat. Während ich zischte und Dampf abließ, füllte sie mir einen Teller mit Fleisch und Pilzen in Rotwein, goss mir zwei Fingerbreit Kognak ein und setzte mich an den Tisch. Ich ächzte, trank, wurde milder gestimmt, warf ihr einen letzten Blick voll väterlichen Vorwurfs zu und griff zur Gabel.
»Und du?«, besann ich mich – wie immer erst mit vollem Mund.
»Ich habe schon gegessen«, antwortete sie wie üblich. Sie kniete sich auf einen Stuhl, schob ihren runden Po nach hinten, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und sah zufrieden zu, wie ich aß.
»Wenn du ohnehin nach Ganda fährst«, sagte ich schmatzend, »brauchst du dich jetzt nicht verrückt zu machen. Dieser
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