Gesammelte Werke 6
hinaus.
Das Haus in der Bannaja war ein grauer, vierstöckiger Betonbau. Der linke Flügel stand eingerüstet, und die Gerüste waren verschneit und leer. Der mittlere Teil der Fassade sah recht frisch aus, wogegen der rechte Flügel wieder reparaturbedürftig zu sein schien. Es gab nur einen Eingang: in der Mitte der Fassade. Der Eingangsbereich war breit und hätte, der Idee des Architekten nach, sechs Ströme von Menschen hinein- oder herauslassen sollen. Doch wie üblich wurde von sechs Türen nur eine benutzt; die übrigen hatte man verriegelt, eine sogar mit Brettern vernagelt, die mit einer wilden Farbpalette kokett dekoriert worden waren. Und wie üblich prangten rechts und links vom Eingang verschieden große, verglaste Schilder mit den Namen von Institutionen; so brauchte ich eine Weile, bis ich die bescheidene Tafel mit der silbrigen Aufschrift »Institut für Linguistische Studien an der AdW der UdSSR« entdeckte.
Nachdem ich mich mühsam durch die offene Tür gezwängt hatte, irrte ich in Gesellschaft zahlreicher ebenso armer Würstchen zwischen den dunklen Kulissen umher. Es war finster und beängstigend, und unter den Füßen hatte sich so viel Schnee angesammelt, dass wir uns aus Sorge zu stürzen alle aneinander festhielten.
Als ich mir endlich Bewegungsfreiheit verschafft hatte, fand ich mich vor einer breiten Treppe, die mich zu einer großen Rotunde von der Höhe aller vier Stockwerke führte. Die Mitte der Rotunde war in viele Holzsegmente unterteilt, und von oben drang durch das vergitterte Glasdach graues Tageslicht herein. Links von mir bot ein gläserner Kiosk Poster und Zeitschriften an, und rechts verkaufte jemand Piroggen und Biskuit mit Marmelade.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wohin ich mich wenden sollte, und als ich mich unter denen umhörte, die sich mit mir Schulter an Schulter durch die Kulissen gekämpft hatten, erfuhr ich, dass sie hier nur Gebäck holen wollten – mit Ausnahme eines alten Mannes, den man nach Piroggen geschickt hatte.
Die alte Frau im Kiosk wusste nichts – sie arbeitete erst den zweiten Tag hier. Nur eine geschminkte Dame ohne Mantel und mit einem Zustellbuch unter dem Arm wusste Bescheid und schickte mich nach rechts und dann nach oben, und dort, auf dem ersten Treppenabsatz, entdeckte ich einen Wegweiser.
Ich musste in den zweiten Stock und kletterte über eine eiserne Wendeltreppe, auf der es beängstigend und dunkel war, nach oben. Die Sohlen glitten von den verschieden großen Stufen; einer, der es wohl darauf abgesehen hatte, mich in die Tiefe zu stoßen, keuchte mir schwer und angsteinflößend entgegen; weiter oben schlitterte und polterte, unterdrückt aufschreiend, eine Frau, und von unten drückte mir jemand mit undeutlichem Schimpfen etwas Hartes, Hölzernes ins Kreuz.
Aber alles hat ein Ende. Und so stand ich endlich, schwer atmend, auf dem Treppenabsatz des zweiten Stocks und über legte, ob ich mein Nitroglyzerin einnehmen sollte. Dann aber stieß man mich noch ein letztes Mal in den unteren Rücken, und eine nuschelnde Stimme fragte: »Na, was bleibst du stehn, geht’s nicht weiter?« Eine hölzerne Leiter wurde an mir vorübergetragen – so lang, dass ich meinen Augen nicht traute und mich fragte, wie man sie über die Wendeltreppe hatten heraufschaffen können?
Ich schob mir ein Körnchen Nitroglyzerin unter die Zunge und blickte mich um. Vom Treppenabsatz gingen drei Türen ab, wie im Märchen: eine nach rechts, eine nach links und die dritte geradeaus. Nach dem Schild zu urteilen musste ich nach rechts. Hinter der Tür fand ich ein Tischchen, auf dem Tischchen ein Lämpchen und hinter dem Lämpchen eine kleine alte Frau mit Strickzeug in Händen. Sie blickte mich wohlwollend und fragend an, und wir kamen ins Gespräch.
Das Mütterlein wusste Bescheid. Die Schriftsteller hatten ins Zimmer soundso zu gehen, durch den Konferenzsaal hindurch, und zum Konferenzsaal kam man über diesen Flur, immer geradeaus, ohne abzubiegen, aber abbiegen konnte man ohnehin nicht, höchstens zum Büfett, doch das war noch geschlossen. Ich bedankte mich bei ihr und machte mich schon auf den Weg, als die Alte mir nachrief: »Da ist aber eine Versammlung …« Obwohl ich nicht begriff, was sie damit meinte, drehte ich mich für alle Fälle um und nickte ihr dankend zu.
Schon stand ich im Flur. Heute findet man solche Flure nur noch selten: schmal, fensterlos, mit geheimnisvollen, vergitterten Abzugsöffnungen unter der Decke und verschlossenen
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