Gesammelte Werke 6
typische Sitzung der Aufnahmekommission. Zuerst wird, um die Sache vom Hals zu bekommen, die Aufnahme eines armen Teufels aus dem Bereich der Populärwissenschaft erörtert. Der Referent hält eine entrüstete Rede dagegen und verwechselt dabei ständig Bathysphäre mit Stratosphäre und Bathyskaph mit Pyroskaph. Die Kommission lauscht ihm in entsetztem Schweigen, einige bekreuzigen sich heimlich, man hört: »Das wäre ja wohl das Letzte!« Und der Tenor der Ausführungen: Was ist daran Literatur? Der zweite Referent äußert sich knapp und unverblümt: Er sei nicht imstande, auch nur ein einziges Buch des Bewerbers zu Ende zu lesen, er habe nichts von diesen Infusorien und Leprosorien verstanden, der Antragsteller sei doch habilitierter Doktor – wozu müsse er da noch in den Verband eintreten? Der Vorsitzende ergreift das Wort: der Kosmos, das Zeitalter der WTS (er meint WTR, also Wissenschaft lich-technische Revolution); wir dürfen nicht vergessen, dass die Autorität unserer Organisation … die große Literatur … Anton Pawlowitsch Tschechow … Lew Tolstoi … Alexander Sergeitsch … Abort Abortytsch … Den ersten Bewerber lässt man einmütig durchfallen, mit einer einzigen Gegenstimme.
Der zweite Bewerber ist Mediziner, Chirurg, ein Trottel – aber verliebt in unsere Dörfer. Ein Referent mit verschlafenen Augen bringt lautstark seine Begeisterung für diese Liebe zum Ausdruck und gibt zwei der glänzenden Sujets des Bewerbers wieder: Ein Bäuerlein zuckelt mit seinem Fuhrwerk durch den Wald, und plötzlich ist da ein Tiger (im Rjasansker Gebiet, das Dorf heißt Mjasnoje). Das Bäuerlein reißt aus. Der Tiger hinterher. Das Bäuerlein kriecht bis zum Hals in eine Wuhne. Das Tier lässt sich an deren Rand nieder; die ganze Nacht hört der Mann sein Schnauben. Später stellt sich heraus, dass der Tiger aus dem Zoo entlaufen ist und Menschen um sich braucht, deshalb ist er dem Bäuerlein nachgerannt … Allgemeines Entzücken, gutmütiges Lachen, beifällige Zwischenrufe der Leibgardisten. Es folgt das zweite Sujet: Ein Bauer kommt zum Arzt und klagt über ein inneres Leiden, der Arzt fordert ihn auf, verschiedene Analysen vorzuzeigen. Der Bauer glaubt, er wolle von ihm Schmiergeld und schreibt an die Staatsanwaltschaft. Indessen wird bei ihm Krebs festgestellt, der Arzt operiert ihn mit Erfolg, und der Mann ist gerettet. Doch da kommt, direkt in den OP-Saal, die Vorladung zur Staatsanwaltschaft … Wieder Begeisterung und Beifallrufe, einer der Leibgardisten lacht Tränen und drückt sein Gesicht an meine Schulter. Der zweite Gutachter liest mit gebrochener Stimme eine Schilderung des ländlichen Milieus durch den Bewerber; Entzücken und Zustimmung äußern sich in donnerndem Zischen und wasserfallartigem Schluchzen, wonach der Bewerber den noch durchfällt, allerdings schon mit drei Gegenstimmen. Alle wirken betreten. Der Leibgardist sagt zu mir: »Na, ich weiß nicht. Ich war für ihn und habe für ihn gestimmt …«
Dann kommt der ehemalige Minister für Kommunalwirtschaft einer südlichen Republik an die Reihe, der einen pompösen Geschenkband herausgebracht hat – etwas wie »Die Entwicklung des Wäschereiwesens von der Fürstin Tamar bis zur Gegenwart« …
Hier wurden meine Gedanken erneut vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Fjodor Michejitsch fragte besorgt: »Ent schuldige, Felix Alexandrowitsch, dass ich dich schon wieder störe. Warst du nun gestern in der Bannaja?«
»Ja«, sagte ich. »Natürlich … Habe alles abgegeben. Im Bestzustand.«
»Na, danke. Das wäre meinerseits alles.«
Fjodor Michejitsch hängte den Hörer ein, und ich erhob mich von meinen Kissen und ging geradewegs in die Diele, um in meine Stiefel zu steigen. Erst als ich angezogen war, mir den Schal umgewickelt, die Mütze aufgestülpt und die Handschuhe übergestreift hatte und mir schon am Türschloss zu schaffen machte, fiel mir zum Glück ein, dass ich mein Testmanuskript gestern im Klub liegen gelassen hatte. Und wenn ich jetzt hinführe, um es zu holen …
Ich kehrte also ins Zimmer zurück, nahm ächzend aufs Geratewohl eine von den dünneren Mappen aus meinem kleinen Archiv unter dem Schreibtisch hervor (Rohmanuskripte von Übersetzungen, Zweitexemplare von Annotationen zu japanischen Patenten, Entwürfe von Rezensionen und anderer alter Plunder), wickelte sicherheitshalber eine Schnur darum, stopfte das braune, absenderlose Kuvert in eine Tasche meiner Jacke, um es unterwegs zu öffnen, und ging
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