Gesammelte Werke 6
aber drängeln sich anlässlich eines Jubiläums in Fjodor Michejitschs Zimmer die Leitungsmitglieder. Viele wissen bereits Bescheid. Man hört schallendes Gelächter. Die Aufnahmen wandern von einer Hand zur anderen und verschwinden zahlreich. Polina Slatopolskich flüstert mit träumerisch verdrehten Augen: »Aber was er für einen Strahl hat!«
Fjodor Michejitsch erklärt mit steinerner Miene, er sehe in der Inschrift keinerlei Diffamierung. Rogoshin verliert nur für eine Sekunde die Fassung. Diffamierend sei die Art, wie man die Inschrift ausgeführt habe, erwidert er. Fjodor Michejitsch erklärt mit steinerner Miene weiter, er sehe keinen Grund, gerade Pjotr Skorobogatow zu beschuldigen. Daraufhin fordert Rogoshin eine grafologische Expertise. Alle reden aufeinander ein. Fjodor Michejitsch äußert mit steinerner Miene Zweifel am Nutzen einer grafologischen Expertise im gegebenen Fall. Rogoshin, ganz aus dem Häuschen, beruft sich auf Erkenntnisse der Kriminalistik, nach denen die Schrift einer Person ihre ideomotorischen Besonderheiten in jedem Fall bewahre, ganz egal, womit die Person geschrieben habe. Um diesen Fakt zu demonstrieren, steckt er sich einen Kugelschreiber zwischen die Zähne und kritzelt seine Unterschrift auf die Papiere, die vor Fjodor Michejitsch liegen, er droht, bis zum ZK zu gehen, und benimmt sich über haupt unmöglich.
Schließlich muss Fjodor Michejitsch nachgeben. Eine Kom mission fährt zum Ort des Geschehens. Petenka Skorobogatow, nun an die Wand gedrückt und von der Wucht der Ereignisse leicht eingeschüchtert, gesteht, die Tat begangen zu haben. »Aber nicht so, wie ihr denkt, ihr Ferkel! Wäre das denn menschenmöglich?« Es ist schon spät. Abend. Die Kommission steht vollzählig auf der Freitreppe. Der Schneehaufen war bereits am Tage umgegraben worden und ist nun jungfräulich rein. Petenka Skorobogatow geht langsam daran vorbei und schreibt, geschickt mit einem bauchigen Teekessel hantierend: »Rogoshin, Sie sind mir egal!« Zufriedengestellt reist die Kommission ab. Die Inschrift bleibt.
Ein donnerndes »Und die Viehzucht!« rief mich in die Wirklichkeit zurück. Die Gerichtsverhandlung nahm ihren Lauf. Der Ausruf war vom Billardspieler gekommen, der plötzlich zur Aktion erwacht war. Während ich Erinnerungen nachgehangen hatte, hatte sich vorne etwas verändert. Man sprach jetzt von einem Pelzmantel. Von einem teuren Pelzmantel. Einem Importpelz, der gestohlen worden war. Dreist und provokant. Anscheinend appellierte man nun an alle Anwesenden, keine Pelze zu stehlen. Über die Opfer der Wollust und Ausschweifung fiel kein Wort mehr, die Geschichte mit dem Pelzmantel hatte auf geheimnisvolle Weise den Beschuldigten rehabilitiert. Er hockte nicht mehr schicksalsergeben auf seinem Stuhl, sondern hatte sich aufgerichtet und blickte, die Hände auf die gespreizten Knie gestützt, herausfordernd und missbilligend zum Präsidium hinüber. Dessen Mitglieder hatten sich von ihm abgewandt. Das Gesicht eines Präsidiumsmitglieds war bedeutend roter als die übrigen.
Ich sah auf die Uhr. Es war schon nach drei, ich wollte jetzt das Büfett suchen. Aber da schlüpften zwei bleiche Jünglinge mit brennenden Blicken an mir vorbei in den Flur, fingerten Zigaretten hervor, zündeten sie an und sogen gierig den Rauch ein. Auffallend war ihre unnatürliche Munterkeit, eine gewisse Aufgedrehtheit, ja fieberhafter Eifer. Keine Ermüdung, keine Langeweile – im Gegenteil, sie wollten offensichtlich möglichst schnell ihre Portion Nikotin inhalieren und dann zurück in den Saal. Noch nie hatte ich erlebt, dass jemand so begeistert von einer Versammlung war. Ich fragte sie, wie lange ihrer Meinung nach das Geschwätz noch dauern werde, und merkte, dass das Wort sie unangenehm berührte. Sehr kühl erklärten sie mir, die Versammlung habe gerade ihren Höhepunkt erreicht und werde kaum vor Dienstschluss enden. Dann erriet einer: »Sie sind sicher Schriftsteller?« – »Leider«, bekannte ich. »Und wie ist Ihr Name?«, erkundigte sich unbefangen der andere. »Jessenin«, sagte ich und ging nach Hause.
Unterwegs belegte ich alle Versammlungen mit den schlimmsten Flüchen, schaute dann im Spielwarengeschäft auf der Petrowka vorbei, kaufte den Zwillingsbanditen je ein Auto und war, als ich meine Wohnung betrat, schon wieder gut gelaunt. In der Küche wirtschaftete Katja herum. Meine ausgehungerte Nase geriet in Entzücken und meldete dies unverzüglich dem gesamten Organismus: In der
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