Gesammelte Werke 6
vor.
»Und worüber?«, fragte Dr. Quadriga gekränkt. »Die beiden streiten sich die ganze Zeit, wer wen nicht ins Leprosorium lässt. Endlich passiert mal was Interessantes, und gleich heißt’s: Reden wir über was anderes.«
Viktor biss in ein Neunauge, kaute, trank einen Schluck Bier und fragte: »Wer ist General Pferd?«
»Ein Gaul«, antwortete Dr. Quadriga. »Oder ein Ross. Der oder das … Pferd«
»Nein, im Ernst«, bat Viktor. »Kennt jemand so einen General?«
»Als ich bei der Armee war«, fuhr Dr. Quadriga fort, »wurde unsere Division von Seiner Exzellenz General der Infanterie Arschmann befehligt.«
»Na und?«, versetzte Viktor.
»›Arsch‹ ist ein deutsches Wort und heißt so viel wie Hin tern«, teilte Golem, der bis jetzt geschwiegen hatte, mit. »Der Doktor scherzt.«
»Und wo haben Sie von diesem General Pferd gehört?«, fragte Pavor.
»Beim Polizeichef«, erwiderte Viktor.
»Und?«
»Nichts weiter. Also kennt ihn niemand? Na schön. War ja nur eine Frage.«
»Und der Feldwebel hieß Buttocks«, erklärte Dr. Quadriga. »Feldwebel Buttocks.«
»Englisch können Sie auch?«, fragte Golem.
»So viel allemal«, erwiderte Dr. Quadriga.
»Trinken wir etwas«, schlug Viktor vor. »Kellner, eine Flasche Kognak!«
»Warum eine ganze Flasche?«, wollte Pavor wissen.
»Damit’s für alle reicht.«
»Dann randalieren Sie bloß wieder.«
»Ach, hören Sie auf, Pavor«, bat Viktor. »Sie sind mir ein schöner Abstinenzler.«
»Ich bin kein Abstinenzler«, widersprach Pavor. »Ich trinke für mein Leben gern und lasse keine Gelegenheit aus, wie sich’s für einen richtigen Mann gehört. Aber ich verstehe nicht, wieso man sich um den Verstand trinken muss. Noch dazu jeden Abend.«
»Der Kerl ist ja schon wieder hier«, beschwerte sich Dr. Quadriga, fast verzweifelt. »Wann hat er es bloß geschafft sich bei uns einzuschleichen?«
»Wir werden uns nicht um den Verstand trinken.« Viktor schenkte allen Kognak ein. »Wir trinken bloß. Wie das heute die Hälfte der Nation macht. Die andere Hälfte trinkt sich um den Verstand. Na, soll sie. Wir dagegen trinken bloß.«
»Das ist’s ja gerade«, meinte Pavor. »Wenn alle im Land und nicht nur im Land, sondern auf der ganzen Welt saufen, muss ein ordentlicher Mensch vernünftig bleiben.«
»Halten Sie uns für ordentliche Menschen?«, wollte Golem wissen.
»Zumindest für kultivierte.«
»Meiner Ansicht nach«, sagte Viktor, »haben kultivierte Menschen viel mehr Grund, sich um den Verstand zu trinken, als unkultivierte.«
»Möglich«, stimmte Pavor zu. »Aber ein kultivierter Mensch sollte nicht aus dem Rahmen fallen. Kultur verpflichtet … Wir sitzen nun fast jeden Abend zusammen, schwatzen, trinken und würfeln. Aber hat einer dabei schon mal etwas – gar nicht mal Kluges – so doch wenigstens Ernsthaftes von sich gegeben? Außer Gekicher und albernen Scherzen ist hier nichts zu hören.«
»Warum sollte jemand etwas Ernsthaftes von sich geben?«, fragte Golem.
»Weil alles zur Hölle fährt – und wir kichern und scherzen.Ein Gelage zur Pestzeit. Wir sollten uns schämen, meine Herren.«
»Schön, Pavor«, lenkte Viktor ein. »Geben Sie mal was Ernsthaftes von sich. Es muss nicht unbedingt klug, aber doch wenigstens ernsthaft sein.«
»Also, ich will nichts Ernsthaftes«, verkündete Dr. Quadriga. »Blutegel. Bülten. Pfui Deibel!«
»Kusch!«, zischte Viktor. »Schlaf weiter. Richtig! Golem, lassen Sie uns wenigstens einmal über etwas Ernsthaftes spre chen. Pavor, fangen Sie an, erzählen Sie uns von der Hölle.«
»Damit Sie wieder kichern können?«, entgegnete Pavor bitter.
»Nein«, gab Viktor zurück. »Ehrenwort. Ich bin vielleicht manchmal zynisch. Aber das kommt davon, dass ich mir schon mein Leben lang dieses Gerede von der Hölle anhören muss. Alle Welt behauptet, dass die Menschheit zur Hölle fährt, aber beweisen kann es niemand. Und bei näherem Hinsehen stellt sich dann immer heraus, dass der ganze philosophische Pessimismus auf familiäre Probleme oder Geldmangel zurückzuführen ist.«
»Nein«, widersprach Pavor. »Nein. Die Menschheit fährt zur Hölle, weil sie bankrott ist.«
»Geldmangel«, murmelte Golem.
Pavor achtete nicht auf ihn. Er wandte sich ausschließlich an Viktor, sprach mit gesenktem Kopf und machte dabei ein finsteres Gesicht.
»Die Menschheit ist biologisch bankrott«, meinte er. »Die Geburtenzahlen sinken, Krebs, Schwachsinn und Neurosen breiten sich aus, alle Menschen
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