Gesammelte Werke 6
widersprach der Nässling. »Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Herr Banew war so liebenswürdig, uns die Lieferung mit einer geringen Verspätung zuzustellen. Sie sollten dem hier Anwesenden dankbar sein, denn eine größere Verzögerung der Lieferung durch Ihre Schuld, Herr Polizeichef, hätte beträchtliche Unannehmlichkeiten für Sie nach sich ziehen können.«
»Sie machen mir Spaß«, brummte der Polizeichef. »Ich weiß nicht und will auch gar nicht wissen, wovon Sie reden, denn Drohungen dulde ich als Amtsperson nicht. Was Herrn Banew angeht, so existiert für solche Fälle eine Strafgesetzgebung.« Er vermied es sichtlich, Viktor auch nur einen Blick zu widmen.
»Wie ich sehe, wissen Sie tatsächlich nicht, in welcher Lage Sie sich befinden«, entgegnete der Nässling. »Aber ich bin bevollmächtigt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass Sie es im Falle eines neuerlichen Zurückhaltens einer für uns bestimmten Lieferung mit General Pferd zu tun bekommen.«
Schweigen trat ein. Viktor wusste nicht, wer General Pferd war, aber dem Polizeichef war der Name offenbar gut bekannt.
»Für meine Begriffe ist das eine Drohung«, sagte er unsicher.
»So ist es«, stimmte der Nässling zu. »Und zwar eine über aus reale.«
Der Polizeichef stand mit einem Ruck auf. Viktor und der Nässling folgten seinem Beispiel.
»Ich nehme Ihre Worte zur Kenntnis«, erklärte der Polizeichef. »Ihr Ton, mein Herr, lässt zwar zu wünschen übrig, aber ich verspreche denen, die Sie bevollmächtigt haben, dass ich die Sache klären und die Schuldigen, sobald sie gefunden sind, bestrafen werde. Das gilt in gleichem Maße für Herrn Banew.«
»Herr Banew«, wandte sich der Nässling nun an Viktor, »sollten Sie wegen dieses Zwischenfalls Unannehmlichkeiten mit der Polizei haben, so informieren Sie unverzüglich Herrn Golem. Auf Wiedersehen«, verabschiedete er sich vom Polizeichef.
»Alles Gute«, antwortete der.
Um acht Uhr ging Viktor ins Restaurant hinunter und steuerte seinen Tisch an, an dem sich schon die übliche Runde versammelt hatte. Da rief Teddy ihn zu sich.
»Hallo, Teddy«, grüßte Viktor und lehnte sich über den Tresen. »Wie geht’s?« Da fiel der Groschen. »Ach ja! Die Rech nung … War’s schlimm gestern?«
»Die Rechnung ist noch das geringste Problem«, brummte Teddy. »Da kommt nicht viel zusammen – ein zerschlagener Spiegel und ein zerbrochenes Waschbecken. Aber erinnerst du dich an den Polizeichef?«
»Wieso?«, fragte Viktor erstaunt.
»Das habe ich geahnt. Du hattest Augen wie ein abgebrüh tes Ferkel. Keinen Durchblick mehr … Also, du« – er stieß Viktor mit dem Zeigefinger an die Brust – »hast den Ärmsten in die Toilette gesperrt, die Tür mit einem Besen verbarrikadiert und ihn nicht mehr rausgelassen. Wir wussten ja nicht, wer drin ist. Der Polizeichef war gerade erst gekommen, und wir dachten, es wäre Quadriga. Schön, sagten wir uns, soll er eine Weile schmoren. Dann aber hast du ihn mit den Worten herausgezerrt: ›Oh du Ärmster, du bist ja ganz schmutzig!‹, und seinen Kopf ins Waschbecken gestukt, bis es aus der Wand brach. Wir konnten dich nur mit Mühe und Not von ihm wegzerren.«
»Im Ernst?«, fragte Viktor. »Das ist ja furchtbar. Darum hat er mich heute so wütend angesehen.«
Teddy nickte mitfühlend.
»Das ist verdammt unangenehm«, murmelte Viktor. »Ich muss mich wohl entschuldigen. Wieso hat er sich das gefallen lassen? Er ist doch kräftig gebaut …«
»Ich fürchte, sie wollen dir jetzt was anhängen«, warnte Teddy. »Heute früh war schon ein Schnüffler hier und hat die Leute ausgefragt. Paragraf dreiundsechzig ist dir sicher: tätliche Beleidigung unter erschwerenden Umständen. Es kann aber auch schlimmer kommen: terroristischer Anschlag. Weißt du, wonach das riecht? An deiner Stelle würde ich …« Teddy schüttelte den Kopf. »Was?«, fragte Viktor.
»Ich habe gehört, dass der Bürgermeister heute bei dir war«, sagte Teddy.
»Ja.«
»Und was wollte er?«
»Ach, nichts weiter. Ich soll ihm einen Artikel schreiben. Gegen die Nässlinge.«
»Aha!«, sagte Teddy und lebte auf. »Das ist ja wirklich nicht der Rede wert. Schreib ihm den Artikel, und alles ist wieder in Butter. Wenn der Bürgermeister mit dir zufrieden ist, wagt sich der Polizeichef nicht zu mucksen, da kannst du ihn jeden Tag ins Klobecken tauchen. Den Kerl hat der Bürgermeister fest im Griff.« Teddy hob seine riesige, knochige Faust. »Also ist alles wieder im Lot.
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