Gesammelte Werke 6
Außerdem besaß er keine wirksamen Vernichtungsmittel.«
»Und nach welchen Merkmalen wollen Sie vorgehen?«, erkundigte sich Viktor.
»Nach dem Merkmal der Unauffälligkeit«, erwiderte Pavor. »Wenn ein Mensch grau und unauffällig ist, muss er vernichtet werden.«
»Und wer entscheidet, ob ein Mensch unauffällig ist oder nicht?«
»Verschonen Sie mich mit Details. Ich erkläre Ihnen das Prinzip – wer, was und wie, das sind Details.«
»Und warum lassen Sie sich mit jemandem wie dem Bürgermeister ein?«, wollte Viktor wissen, der allmählich genug von Pavor hatte.
»Ich?«
»Wozu brauchen Sie diesen verdammten Gerichtsprozess? So was ist kleinlich, Pavor! Aber so ist’s mit euch Übermenschen: Einerseits wollt ihr die Welt aus den Angeln heben, was euch nicht weniger als drei Milliarden Leichen kostet. Zugleich aber sorgt ihr euch bald um Ämter, bald doktert ihr an eurem Tripper herum, bald helft ihr kleiner Vorteile wegen zweifelhaften Typen bei ihren dunklen Machenschaften.«
»Sehen Sie sich vor«, warnte Pavor. Er war außer sich. »Sie sind doch nichts als ein Trunkenbold und Nichtstuer …«
»Jedenfalls arrangiere ich keine politischen Schauprozesse und maße mir nicht an, die Welt auf den Kopf zu stellen.«
»Tja, Banew«, parierte Pavor. »Nicht mal das können Sie. Sie sind doch alles in allem nur ein Bohemien, kurzum, eine Null, ein billiger Frondeur, ein Stück Scheiße. Sie wissen nicht, was Sie wollen, und tun, was man von Ihnen verlangt. Sie willfahren den Wünschen ebensolcher Nullen, wie Sie es sind, und bilden sich daher ein, an Grundfesten zu rütteln und ein freier Künstler zu sein. Dabei sind Sie bloß ein jämmerlicher Schmierfink, nicht besser als die, die öffentliche Klos bekritzeln.«
»Das ist alles richtig«, stimmte Viktor zu. »Nur schade, dass Sie das nicht schon früher gesagt haben. Man muss Sie erst beleidigen, damit Sie mit Ihrer Meinung herausrücken. Sie sind ja ein ganz mieser Typ, Pavor. Einer von vielen, übrigens. Und wenn es ums Vernichten geht, sind Sie mit von der Partie. Nach dem Prinzip der Unauffälligkeit. Ein philosophierender Hygieneinspektor? In den Ofen mit ihm!«
Was mag ein Außenstehender von uns denken?, fragte sich Viktor. Pavor ist widerlich. Und dieses Grinsen! Was hat er heute bloß? Quadriga schläft, was kümmern ihn unsere Streitigkeiten, die graue Masse und diese ganze Philosophie … Golem sitzt da wie im Theater, das Glas in der Hand, den Arm hinter der Sessellehne, und wartet, wer wem eins überzieht. Pavor sagt ja gar nichts mehr … Ob er sich neue Argumente zurechtlegt?
»Gut«, sagte Pavor schließlich. »Damit hätten wir uns aus gesprochen.«
Das Grinsen verschwand von seinem Gesicht, er hatte wie der die Augen eines Sturmbannführers. Er warf eine Banknote auf den Tisch, trank seinen Kognak aus und verschwand grußlos. Bei Viktor blieb eine angenehme Enttäuschung zurück.
»Für einen Schriftsteller haben Sie erschreckend wenig Menschenkenntnis«, meinte Golem.
»Das ist auch nicht mein Metier«, erwiderte Viktor leichthin. »Menschenkenntnis ist was für Psychologen und das Sicherheitsdepartement. Meine Aufgabe ist, mit dem Instinkt des Künstlers Tendenzen aufzuspüren. Aber warum sagen Sie das? Heißt das wieder: ›Viktor, hören Sie auf zu klimpern‹?«
»Ich habe Sie gewarnt: Legen Sie sich nicht mit Pavor an.«
»Wieso, zum Teufel?«, fragte Viktor. »Erstens habe ich mich nicht mit ihm angelegt. Er hat sich mit mir angelegt. Und zweitens ist er ein Schwein. Wissen Sie, dass er dem Bürgermeister hilft, einen Prozess gegen Sie vorzubereiten?«
»Ich hab’s geahnt.«
»Regt Sie das nicht auf?«
»Nein. Ihr Arm ist nicht lang genug – ich meine den Bürgermeister und das Gericht.«
»Und Pavor?«
»Pavor hat einen langen Arm«, erklärte Golem. »Und darum sollten Sie in seiner Gegenwart nicht klimpern. Sie sehen ja, dass ich es auch nicht tue.«
»Wann tun Sie das überhaupt einmal?«, brummte Viktor.
»In Ihrer Gegenwart klimpere ich manchmal. Ich habe eine Schwäche für Sie. Gießen Sie mir einen Kognak ein.«
»Bitte.« Viktor füllte sein Glas. »Vielleicht sollten wir Quadriga wecken? Warum hat er mir eigentlich nicht gegen Pavor beigestanden?«
»Nein, wecken Sie ihn nicht. Lassen Sie uns miteinander reden. Was mischen Sie sich in diese Dinge ein? Wer hat Sie gebeten, den Lastwagen zu entführen?«
»Mir war danach«, antwortete Viktor. »Es ist doch eine Schweinerei, Bücher
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