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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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sind süchtig. Sie konsumieren jeden Tag Unmengen von Alkohol, Nikotin und Rauschgift, angefangen von Haschisch und Kokain bis zum LSD. Wir degenerieren einfach. Die natürliche Umwelt haben wir vernichtet, die künstliche vernichtet uns. Außerdem sind wir auch ideologisch bankrott: Wir haben es mit allen philosophi schen Systemen versucht und sie alle in Misskredit gebracht, wir haben alle nur denkbaren Moralsysteme ausprobiert, sind aber noch immer so amoralisch wie die Höh lenbewohner. Und das Schlimmste ist, dass diese graue Masse Mensch heute noch genauso niederträchtig ist, wie sie es schon immer war. Sie schreit nach einem Gott, nach einem Führer und nach Ordnung, jedes Mal aber, wenn sie einen Gott, einen Führer und eine Ordnung erhält, ist sie unzufrieden, weil sie in Wirklichkeit weder Götter noch Ordnung braucht, sondern das Chaos, die Anarchie, Brot und Spiele. Im Moment macht ihr die harte Notwendigkeit zu schaffen, jede Woche eine Lohntüte in Empfang zu nehmen; diese Notwendigkeit ist ihr zuwider, und so flüchtet sie sich jeden Abend in Drogen und Alkohol. Der Teufel soll ihn holen, diesen Haufen Mist, der schon seit zehntausend Jahren zum Himmel stinkt, und sonst zu nichts zu gebrauchen ist. Schlimm ist aber etwas anderes: dass die Zersetzung nämlich auch uns, aus der Masse hervorstechende Persönlichkeiten erfasst. Wir sehen diese Zersetzung und bilden uns ein, dass sie uns nichts anhaben kann, und doch vergiftet sie uns durch Hoffnungs losigkeit, lähmt unseren Willen, höhlt uns aus … Dazu kommt der Fluch der demokratischen Erziehung: Égalité, Fraternité, alle Menschen sind Brüder, alle sind aus einem Holz geschnitzt. Ständig identifizieren wir uns mit dem Pöbel und geißeln uns, wenn wir doch einmal entdecken, dass wir klüger sind, dass wir andere Ansprüche und andere Lebensziele haben. Es wird Zeit, dass wir das begreifen und Schlussfolgerungen ziehen – es wird Zeit, dass wir uns retten.«
    »Und es wird Zeit zu trinken«, versetzte Viktor. Er bereute schon, sich auf ein ernsthaftes Gespräch mit dem Hygieneinspektor eingelassen zu haben. Pavor bot einen unangenehmen Anblick: Er schielte geradezu vor Erregung. Und wie alle Propheten der Höllenfahrt gab er bloß banales Zeug von sich. Am liebsten hätte er zu ihm gesagt: Machen Sie sich nicht lächerlich, Pavor, zeigen Sie uns lieber Ihr spöttisches Lächeln.
    »Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«, wollte Pavor wissen.
    »Ich kann Ihnen noch einen guten Rat geben. Mehr Ironie, Pavor. Ereifern Sie sich nicht so sehr. Sie können ja doch nichts ausrichten. Und selbst wenn Sie es könnten – Sie wüssten nicht, was.«
    Pavor lächelte spöttisch. »Das wüsste ich aber schon.«
    »Ja?«
    »Es gibt nur ein Mittel, um die Zersetzung aufzuhalten …«
    »Das kennen wir«, sagte Viktor leichthin. »Alle Dummköpfe in Goldhemden stecken und in Marsch setzen. Ganz Europa zu unseren Füßen. Das hatten wir schon.«
    »Nein«, entgegnete Pavor. »Das wäre nur ein Aufschub. Es gibt nur eine Lösung: Man muss die Masse vernichten.«
    »Sie sind ja heute in Fahrt«, meinte Viktor.
    »Neunzig Prozent der Bevölkerung muss man vernichten«, fuhr Pavor fort. »Vielleicht sogar fünfundneunzig. Die Masse hat ihre Aufgabe erfüllt und aus ihren Reihen die Blüte der Menschheit hervorgebracht, die sodann unsere Zivilisation schuf. Jetzt ist die Masse so tot wie eine verfaulte Kartoffelknolle, die einer neuen Kartoffelpflanze zum Leben verholfen hat. Und wenn Tote anfangen zu faulen, muss man sie unter die Erde bringen.«
    »Mein Gott«, seufzte Viktor. »Und das alles nur, weil Sie Schnupfen haben und keinen Passierschein fürs Leprosorium bekommen. Oder haben Sie familiäre Probleme?«
    »Spielen Sie nicht den Clown«, versetzte Pavor. »Warum wollen Sie nicht über Dinge nachdenken, die Ihnen sehr wohl bekannt sind? Was pervertiert die besten Ideen? Der Stumpfsinn der grauen Masse. Was verursacht Kriege, Chaos und Unordnung? Der Stumpfsinn der grauen Masse, die sich die Regierung aussucht, die ihrer würdig ist. Was ist schuld daran, dass uns das Goldene Zeitalter heute noch genauso hoffnungslos fern ist wie in grauer Vorzeit? Die Trägheit und Unwissenheit der grauen Masse. Im Prinzip hatte Hitler, wenn auch unbewusst, recht, denn er spürte, dass es auf der Erde zu viel Überflüssiges gibt. Aber er war ein Kind der grauen Masse und hat alles verdorben. Es war dumm, bei der Vernichtung nach einem Rassenmerkmal vorzugehen.

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