Gesammelte Werke 6
Falschen eingesperrt oder war den Falschen in den Hintern gekrochen, woher sollte er auch wissen, welches der Richtige war … Der Polizist rauchte, und seine Miene war schon nicht mehr ganz so verkniffen: Seine Sache lief gut. Ach, wenn ich jetzt etwas zu trinken hätte, dachte Viktor. Ich würde ihm einen Schluck anbieten, ihm ein paar irische Witze erzählen, auf die Obrigkeit schimpfen, die nur ihre Lieblinge hochkommen lässt, und schon würde der Mann auftauen.
»Furchtbar, dieser Regen«, sagte Viktor.
Der Polizist grunzte sachlich, sein Groll schien verflogen zu sein.
»Und was für ein gutes Klima wir früher hatten«, fuhr Viktor fort. Da fiel ihm etwas ein. »Wissen Sie was: Bei denen im Leprosorium regnet es kaum, doch sobald man in die Stadt kommt, fängt es an zu gießen.«
»Stimmt«, pflichtete ihm der Polizist bei. »Die haben sich in ihrem Leprosorium gut eingerichtet.«
Der Kontakt war hergestellt. Sie sprachen übers Wetter – darüber, wie es früher gewesen und wie es – verflixt noch mal – geworden war. Sie hatten, wie sich herausstellte, gemeinsame Bekannte in der Stadt. Dann unterhielten sie sich über das Leben in der Hauptstadt, über Miniröcke, den Ärger mit den Homosexuellen, über importierten Brandy und geschmuggeltes Rauschgift. Und natürlich stellten sie übereinstimmend fest, dass keine Ordnung mehr herrschte – ganz anders als vor dem Krieg oder beispielsweise kurz danach. Sie fanden, dass man als Polizist ein Hundeleben führte, obwohl in den Zeitungen immer von gütigen, strengen Ordnungshütern gesprochen wurde und von dem unersetzbaren Zahnrad im Staatsgetriebe. Sie bedauerten, dass das Pensionsalter heraufgesetzt, die Pensionen aber gekürzt wurden, dass man für im Dienst davongetragene Schäden mit Groschen abgespeist wurde und man ihnen jetzt auch noch die Waffen abnahm – wer, bitte, sollte sich unter diesen Umständen noch ein Bein ausreißen … Mit einem Wort, sie verstanden sich so gut, dass der Polizist nach ein paar kräftigen Schlucken gesagt hätte: »Na schön, mein Junge, geh mit Gott. Wir beide haben uns nie im Leben gesehen.« Aber leider hatte Viktor nichts zu trinken bei sich, und der Moment, dem Polizisten einen Schein in die Hand zu drücken, war noch nicht gekommen, sodass dieser, als sie die Polizeidirektion erreichten, wieder eine finstere Miene zog und Viktor trocken aufforderte, ihm zu folgen, und zwar ein bisschen plötzlich.
Der Nässling weigerte sich, mit dem Diensthabenden zu sprechen, und verlangte, sofort zum Polizeichef gebracht zu werden. Der Diensthabende erwiderte, dass der Chef ihn wohl empfangen werde, nicht aber den anderen, dem man vorwerfe, ein Fahrzeug entführt zu haben. Daher bestehe kein Grund, ihn dem Chef vorzuführen, es genüge, wenn er ihn befrage und ein entsprechendes Protokoll aufsetze. Nein, widersprach der Nässling ruhig und entschieden, nichts dergleichen werde geschehen, Herr Banew brauche überhaupt keine Fragen zu beantworten und werde auch kein Protokoll unterschreiben, weil hier Umstände vorlägen, die einzig und allein den Herrn Polizeichef etwas angingen. Der Diensthabende, dem das alles ziemlich egal war, zuckte mit den Achseln und ging hinaus, um Meldung zu machen. Unterdessen tauchte der Kraftfahrer im schmutzigen Overall wieder auf, der von dem Vorfall gar nichts mitbekommen hatte und so betrunken war, dass er sofort lauthals von Gerechtigkeit, Unschuld und anderen schrecklichen Dingen zu faseln begann. Der Nässling griff vorsichtig nach dem Lieferschein, mit dem der Fahrer herumfuchtelte, lehnte sich über die Barriere und unterschrieb den Schein in aller Form. Der Fahrer verstummte erstaunt, und gleich darauf wurden der Nässling und Viktor zur Obrigkeit gerufen.
Der Polizeichef empfing sie mürrisch. Den Nässling sah er unzufrieden an, Viktor überhaupt nicht.
»Sie wünschen?«, fragte er.
»Dürfen wir uns setzen?«, erkundigte sich der Nässling.
»Bitte«, knurrte der Polizeichef unwillig nach einer kurzen Pause.
Alle setzten sich.
»Herr Polizeichef«, erklärte der Nässling. »Ich bin bevollmächtigt, gegen das wiederholte ungesetzliche Zurückhalten von Lieferungen für das Leprosorium zu protestieren.«
»Ja, ich habe davon gehört«, erwiderte der Polizeichef. »Der Fahrer war betrunken, sodass wir ihn an der Weiterfahrt hindern mussten. Ich denke, dass sich in den nächsten Tagen alles aufklären wird.«
»Sie haben nicht den Fahrer festgehalten, sondern die Lieferung«,
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