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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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wissen.
    »Die Dokumentation für die RU-16«, antwortete Roman. »Nun rück schon die Schlüssel raus!«
    Lachend streckte ich die Hand nach dem Schubfach mit den Schlüsseln aus. Und im selben Augenblick ertönte über uns ein markerschütterndes Kreischen. Ich sprang auf.

4
    Weh mir! Klein bin ich und schwach,
    leichte Beute dem Vampir …
    Alexander Sergejewitsch Puschkin
    »Er ist geschlüpft«, erklärte Roman ungerührt und sah zur Decke hoch.
    »Wer?« Ich war völlig durcheinander: Das war doch eine Frauenstimme gewesen, die da gekreischt hatte.
    »Wybegallos Vampir«, antwortete Roman. »Genauer gesagt, sein Kadaver.«
    »Und wieso hat da eine Frau geschrien?«
    »Das wirst du gleich sehen«, sagte Roman.
    Er packte mich am Arm, stieß sich vom Erdboden ab und schoss mit mir durch mehrere Etagen. Unsere Körper drangen in die Zimmerdecken ein wie ein Messer in erstarrtes Fett, tauchten dann mit einem schmatzenden Laut wieder auf und verschwanden von Neuem in einer Zwischendecke. In den Hohlräumen war es dunkel, und winzige Gnome und Mäuse stoben mit erschrockenem Piepsen auseinander, während die Kollegen in den Labors und Arbeitszimmern, die wir durchquerten, verblüfft aufsahen.
    In der »Gebärstation« bahnten wir uns einen Weg durch die neugierige Menge und erblickten an einem Labortisch Professor Wybegallo – vollkommen nackt. Seine bläulich weiße Haut schimmerte feucht, sein nasser Bart hing keil förmig herab, die nassen Haare klebten an der niedrigen Stirn, auf der ein prall gefüllter Pickel prangte. Seine leeren, durchsichtigen Augen schweiften sinnlos durch das Zimmer.
    Professor Wybegallo speiste. Vor ihm auf dem Tisch stand eine große dampfende Entwicklerschale, die bis an den Rand mit gedünsteter Kleie gefüllt war. Ohne sich um uns zu scheren, schaufelte er die Kleie mit der Hand aus dem Gefäß, knetete sie ordentlich durch und stopfte sich den fertigen Klumpen in den Mund, wobei er sich den ganzen Bart vollkrümelte. Dabei schmatzte, knirschte, schlürfte und grunzte er, legte den Kopf zur Seite und kniff genüsslich die Augen zu. Von Zeit zu Zeit erfasste ihn Unruhe, und dann packte er, ohne mit dem Kauen und Schlingen aufzuhören, den Bottich mit der Kleie und die Eimer mit der Magermilch, die neben ihm auf dem Fußboden standen, und zog sie näher zu sich heran. Am anderen Tischende stand blass, verheult und mit zitternden Lippen Stella, eine junge Hexe mit blanken rosigen Ohren, die ihr Praktikum bei uns absolvierte, säbelte dicke Scheiben von einem Brotlaib ab und streckte sie Wybegallo mit abgewandtem Gesicht hin. Der mittlere Autoklav war offen und lag umgestürzt in einer großen grünlichen Pfütze.
    Plötzlich nuschelte Wybegallo: »He, Kleine … tjä … gib mir Milch! Also, tjä: Gieß sie gleich in die Kleie rein. S’il-vous plaît. «
    Stella griff hastig nach einem Eimer und kippte die Mager milch in die Entwicklerschale.
    »Ach!«, rief Professor Wybegallo. »Das Gefäß ist zu klein! He, Kleine … tjä … Wie heißt du doch, gieß sie am besten gleich in den Bottich. Also, tjä, essen wir aus dem Bottich.«
    Stella leerte die Eimer in den Bottich mit der Kleie. Der Professor nahm die Entwicklerschale wie eine Schöpfkelle zur Hand und schaufelte die Kleie aus dem Bottich direkt in seinen Mund, den er zu diesem Zweck unwahrscheinlich weit aufriss.
    »So rufen Sie ihn doch endlich an!«, rief Stella kläglich. »Er hat gleich alles aufgegessen!«
    »Schon erledigt«, sagte jemand aus der Menge. »Du aber komm ihm lieber nicht zu nahe. Stell dich hier herüber.«
    »Und? Kommt er?«
    »Ja, er wollte gleich losgehen. Also: Er zieht sich nur noch die Galoschen an, und dann stiefelt er los. Komm da weg – kannst du nicht hören?«
    Endlich ging mir ein Licht auf. Das war gar nicht Professor Wybegallo. Es war ein neugeborener Kadaver, das Modell eines – nur auf den Magen bezogenen – unzufriedenen Menschen. Zum Glück, muss ich sagen, denn ich hatte schon geglaubt, den Professor habe eine Hirnlähmung befallen. Infolge von Überarbeitung.
    Stella zog sich vorsichtig zurück. Jemand legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie in die Menge. Sie verbarg sich hinter meinem Rücken und klammerte sich an meinen Ellbogen, und ich nahm augenblicklich Haltung an, obwohl ich noch immer nicht wusste, was hier gespielt wurde und wovor sie solche Angst hatte. Der Kadaver fraß. Im Labor, in dem es von Menschen wimmelte, war es mucksmäuschenstill, und man hörte nur, wie

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