Gesammelte Werke 6
er knirschte, schnaubte, mit den Zähnen mahlte und mit der Entwicklerschale die Bottichwände abkratzte. Wir sahen ihm zu. Dann kroch er vom Stuhl und schob seinen Kopf in den Bottich. Die Frauen wandten sich ab. Liletschka Nowosmechowa wurde übel, und jemand führte sie hinaus auf den Flur.
Dann sagte Edik Amperjan mit klarer Stimme: »Na schön. Gehen wir mal logisch an die Sache heran. Gleich hat er die Kleie aufgegessen, dann frisst er das Brot – und dann?«
In die vorderen Reihen kam Bewegung. Alles drängte zur Tür. Ich fing an zu begreifen.
Stella sagte mit dünner Stimme: »Da sind noch die Herings köpfe.«
»Wie viele?«
»Zwei Tonnen.«
»Hm«, überlegte Edik. »Und wo?«
»Sie sollten eigentlich per Fließband hergeschafft werden«, antwortete Stella. »Ich hab es schon versucht, aber das Fließband funktioniert nicht.«
»Und ich«, warf Roman ein, »versuche schon seit zwei Minuten, ihn zu passivieren – vergeblich.«
»Bei mir ist es dasselbe«, sagte Edik.
»Darum wäre es sehr schön, wenn sich ein paar von den Zartbesaiteten an die Reparatur des Fließbandes machen könn ten«, schlug Roman vor. »Als Gegenmittel. Ist noch jemand von den Magistern hier? Edik sehe ich. Sonst keiner? Kornejew! Viktor Pawlowitsch, bist du hier?«
»Nein, er ist nicht hier. Aber vielleicht sollten wir Fjodor Simeonowitsch holen?«
»Ich glaube, vorläufig sollten wir ihn nicht behelligen. Wir werden die Sache schon in den Griff kriegen. Edik, versuchen wir’s noch mal mit vereinten Kräften.«
»Welches Programm?«
»Bremsprogramm. Bis zum Tetanus. Jungs, wer kann, soll mithelfen.«
»Moment mal«, unterbrach Edik. »Und wenn’s ihm schadet?«
»Ja«, sagte ich. »Lasst das besser bleiben. Soll er lieber mich auffressen.«
»Nur keine Panik. Wir sehen uns vor. Edik, versuchen wir’s am selben Berührungspunkt.«
»Fangen wir an«, bat Edik.
Es wurde noch stiller. Der Kadaver fuhrwerkte in seinem Bottich, und hinter der Wand gaben sich ein paar Freiwillige schwatzend und hämmernd mit dem Fließband ab. So verging eine Minute. Der Kadaver kroch aus dem Bottich, wischte sich den Bart ab und lugte schläfrig zu uns herüber. Dann ließ er plötzlich seinen Arm weit vorschnellen und schnappte sich den letzten Brotlaib, rülpste dröhnend, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und faltete friedlich die Hände über seinem dicken, geblähten Wanst. Auf sein Gesicht trat ein seliger Ausdruck, und er fing an, leise zu schnarchen und dümmlich vor sich hin zu lächeln. Er war jetzt zweifellos glücklich – so glücklich wie ein erschöpfter Mensch, der sich endlich in sein ersehntes Bett fallen lässt.
»Anscheinend hat es gewirkt«, meinte jemand in der Menge mit einem erleichterten Seufzer.
Roman kniff zweifelnd die Lippen zusammen.
»Ich habe nicht den Eindruck«, erwiderte Edik höflich.
»Vielleicht muss er erst wieder aufgezogen werden«, sagte ich hoffnungsvoll.
Stella wandte bedauernd ein: »Das ist einfach eine Relaxation. Ein Paroxysmus der Zufriedenheit. Er kommt gleich wieder zu sich.«
»Ihr Magister seid Schlappschwänze«, ließ sich eine kraftvolle männliche Stimme vernehmen. »Lasst mich mal durch, ich hole Fjodor Simeonowitsch.«
Alle blickten einander unsicher lächelnd an. Roman ließ nachdenklich das Umoplekt auf seiner Handfläche hin und her rollen, während Stella zitternd flüsterte: »Was soll bloß werden? Sascha, ich hab Angst!« Was mich angeht, so reckte ich die Brust, runzelte die Stirn und unterdrückte den leidenschaftlichen Wunsch, Modest Matwejewitsch anzurufen. Ich wäre die Verantwortung zu gern losgewesen. Ich wusste, das war eine Schwäche, aber ich kam nicht dagegen an. Modest Matwejewitsch erschien mir plötzlich in ganz anderem Licht, und ich erinnerte mich voller Hoffnung an die im letzten Monat verteidigte Dissertation »Über die Wechselbeziehungen zwischen Natur- und Verwaltungsgesetzen«, in der bewiesen wurde, dass sich administrative Gesetze kraft ihrer Unbeugsamkeit im Vergleich zu natürlichen und magischen Gesetzmäßigkeiten als durchweg wirkungsvoller herausstellten. Ich war überzeugt, dass Modest Matwejewitsch bloß aufzutauchen und den Vielfraß anzubrüllen brauchte: »Unterlassen Sie das, Genosse Wybegallo!« Und schon würde er klein beigeben.
»Roman«, sagte ich wie nebenbei. »Notfalls könntest du ihn doch auch dematerialisieren, oder?«
Roman lachte auf und klopfte mir auf die Schulter.
»Sei kein Angsthase«, meinte er.
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