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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Zeichen. Sofort stieß ich die Tür auf, stieg, ohne eine Silbe zu sprechen, die Treppe hinunter und stand aufrecht unter der Bande.
    Über die furchtbare Wirkung dieses plötzlichen Erscheinens darf man sich nicht wundern, wenn man alle Umstände in Betracht zieht. Gewöhnlich bleibt in einem solchen Fall ein leise glimmender Zweifel im Gemüt des Zuschauers, ob denn das Geschaute auch wirklich sei; eine schwache Hoffnung, dass er das Opfer einer Neckerei, ob die Erscheinung nicht wirklich ein Gast aus dem alten Reich der Schatten sei. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, solch blasser Zweifel sei mit jeder derartigen Heimsuchung verknüpft und das vernichtende Grauen, das zuweilen erzeugt wird, sei sogar in den qualvollsten Fällen mehr eine Art ahnenden Schauderns vor der Möglichkeit einer tatsächlichen Erscheinung als die Frucht wirklichen Geisterglaubens. Aber in dem Fall, von dem ich hier berichte, wird man wohl einsehen, dass in den Gemütern der Meuterer nicht der Schatten eines Grundes für irgendwelchen Zweifel sein konnte, Rogers Erscheinung sei nicht wirklich sein neubelebter, abscheuerregender Leichnam oder das gespenstische Abbild davon. Die vereinsamte Lage des Schiffes, seine Unzugänglichkeit infolge des Orkans, sie schränkten die Möglichkeiten eines Betruges in so enge Grenzen ein, dass die Meuterer diese Möglichkeiten sofort überblicken konnten. Sie waren jetzt vierundzwanzig Tage auf See gewesen, ohne eine andere Verbindung mit irgendeinem Schiff außer einem kurzen Gespräch durchs Rohr. Auch war die ganze Mannschaft – wenigstens alle, deren Anwesenheit an Bord den Meuterern bekannt war – in der Kajüte versammelt, mit Ausnahme des als Wache hingestellten Allen, dessen Riesengestalt (er maß sechs Fuß und sechs Zoll) ihren Augen zu vertraut war, als dass sie nur einen Augenblick geglaubt hätten, er sei der Darsteller des Geistes. Man denke sich dazu die schreckeinflößende Gewalt des Sturmes, den Einfluss der von Peters in Fluss gebrachten Unterhaltung, den tiefen Eindruck, den die Scheußlichkeit des wirklichen Leichnams am Morgen auf die Phantasie der Leute gemacht hatte, die vortreffliche Verkörperung, die ich ihm angedeihen ließ, die unsichere und flackernde Beleuchtung, in der sie mich erblickten, und wie der Schein der Kajütenlampe, die heftig hin und her schwankte, wechselnd und unbestimmt auf meine Gestalt fiel – so wird sich niemand wundern, dass die Wirkung noch alle unsere Erwartungen übertraf. Der Maat sprang von seiner Matratze auf und fiel dann, ohne eine Silbe zu stammeln, auf den Boden der Kajüte. Er war tot, und seine Leiche wurde wie ein Klotz durch das schwere Stampfen des Schiffes nach Lee gerollt. Von den sieben Übrigbleibenden gewannen zunächst nur drei ihre Geistesgegenwart. Die vier anderen saßen eine Zeitlang, als wären sie festgewurzelt – die beklagenswertesten Opfer des Grauens und völliger Verzweiflung, die meine Augen je gesehen haben. Widerstand erfuhren wir nur vom Koch, von John Hunt und Richard Parker; aber sie verteidigten sich auf matte und unentschlossene Art. Jene beiden schoss Peters sofort über den Haufen, und ich schmetterte Parker durch einen Kopfhieb mit dem Griff der Pumpe zu Boden. Inzwischen ergriff Augustus eine der herumliegenden Musketen und schoss einen anderen Meuterer, Wilson, durch die Brust. Jetzt waren nur noch drei übrig; aber sie hatten sich endlich aus der Lethargie aufgerafft; vielleicht fing es ihnen zu dämmern an: Man hat uns genasführt; denn sie kämpften mit großer Entschlossenheit und Wut, und ohne Peters’ unerhörte Muskelkraft wären sie wohl noch Sieger geblieben. Diese drei Leute waren: Jones, Greely und Absalon Hicks. Jones hatte Augustus niedergeworfen, ihm mehrere Stiche in den linken Arm versetzt, und er hätte ihn ohne Zweifel rasch abgetan, da weder Peters noch ich von unseren Gegnern loskommen konnten, wäre nicht ein Freund, auf dessen Beistand wir gar nicht rechneten, uns rechtzeitig zu Hilfe gekommen. Dieser Freund war kein anderer als Tiger. Mit einem dumpfen Geknurre kam er in die Kajüte gesprungen, gerade in dem Augenblick, der für Augustus die höchste Gefahr enthielt, warf sich auf Jones und hatte ihn sofort zu Boden gestreckt. Mein Freund war jedoch zu schwer verletzt, um uns irgendwelchen Beistand zu leisten, und mich hinderte meine Verkleidung an kräftigem Einschreiten. Der Hund wollte nicht von Jones’ Kehle ablassen; Peters war den beiden Übrigbleibenden ein

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