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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Augenblick dachten wir, nichts könne uns vor dem Kentern bewahren. Doch alsbald richteten wir uns teilweise auf; immerhin blieb jedoch der Ballast an Backbord, so dass wir zu stark auf die Seite neigten, um an den Gebrauch der Pumpen denken zu dürfen, mit denen wir aber überhaupt nicht recht viel hätten anfangen können, da unsere Hände durch die fürchterliche Arbeit wie geschunden waren und auf abscheuliche Art zu bluten begannen.
    Gegen Parkers Rat machten wir uns jetzt daran, auch den Fockmast zu kappen, und brachten dies endlich nach großer Mühe zustande. Beim Sturz über Bord nahm der zerstörte Mast auch das Bugspriet mit, so dass wir uns jetzt nur noch auf einem Rumpf befanden.
    Bis dahin hatten wir Ursache, uns zu freuen, dass unser Langboot nicht mitgegangen war und keinerlei Schaden durch die furchtbaren Sturzseen erlitten hatte. Aber die Freude blieb nicht von langer Dauer; denn nach dem Verlust des Fockmastes samt dem Focksegel, der die Brigg noch einigermaßen aufgehalten hatte, stürzten die Seen ohne Hindernis über uns weg, und in fünf Minuten war das Deck vom Stern bis zum Bug klar gefegt und sogar das Gangspill in Trümmer geschlagen. Ein jämmerlicherer Zustand ließ sich kaum erträumen.
    Um die Mittagszeit schien der Sturm nachlassen zu wollen; aber das war nur ein Wahn, denn nach wenigen ruhigen Minuten raste er mit verdoppelter Gewalt. Von vier Uhr nachmittags ab war’s unmöglich, aufrecht zu stehen, und als die Nacht über uns hereinsank, hatte ich kaum den Schatten einer Hoffnung, dass die Brigg sich bis zum Morgen zusammenhalten könne.
    Um Mitternacht lagen wir sehr tief im Wasser; es stand jetzt schon im Zwischendeck. Bald darauf ging das Ruder fort; die See, die es wegriss, hob das Achterteil des Schiffes völlig aus dem Wasser, gegen das es beim Zurückstürzen mit einem Prall anschlug, als wäre es auf den Strand geworfen worden. Wir hatten alle auf das stramme Standhalten des Ruders gerechnet, denn es war so stark befestigt, wie ich es niemals an einem Steuerruder wahrgenommen habe. Eine Reihe von eisernen Haken begleitete den Hauptbalken, eine gleiche Reihe den Hintersteven. Durch diese Haken lief eine sehr dicke Stange aus Schmiedeeisen; das Ruder hielt sich somit fest an dem Steven und bewegte sich zugleich frei an der Eisenstange. Die ungeheure Gewalt der See, die es abriss, kann man sich vielleicht ausmalen, wenn ich sage, dass die Eisen am Hintersteven vollständig aus dem starken Holz herausgezogen wurden.
    Wir hatten kaum Zeit, nach diesem grauenhaften Stoß Atem zu schöpfen, da brach eine der gewaltigsten Wogen, die ich je gesehen habe, geradeswegs über uns herein, fegte den Kajütenzugang weg, drang durch die Luken und füllte das Schiff bis zum Rand mit Wasser.
Neuntes Kapitel
    Glücklicherweise hatten wir kurz vor Anbruch der Nacht alle vier uns an die Überreste des Gangspills angebunden, indem wir auf diese Art so flach wie möglich auf dem Verdeck lagen. Nur diese Maßregel rettete uns vor dem Tod. Wir waren alle mehr oder weniger betäubt durch die ungeheure Wasserlast, die sich auf uns gewälzt hatte und erst von uns abflutete, als wir nahezu erschöpft waren. Sobald ich atmen konnte, rief ich nach meinen Gefährten. Nur Augustus gab eine Antwort, und die war: »Mit uns ist es zu Ende, möge sich Gott unserer Seelen erbarmen!« Nach und nach erhielten die Übrigen ihre Sprache zurück; sie suchten uns Mut einzuflößen, da noch Hoffnung vorhanden sei, denn es sei nach der Art der Ladung unmöglich, dass die Brigg unterginge, und beinahe sicher, dass der Sturm am Morgen abflauen würde. Diese Worten belebten mich aufs Neue; denn, es mag ja sonderbar erscheinen, ich hatte bisher völlig übersehen, dass ein mit leeren Tranfässern beladenes Schiff nicht sinken könne, gerade das Untergehen war mir als unmittelbarste Gefahr vor Augen gestanden. Als mich nun neue Hoffnung erfüllte, eilte ich, nach Kräften die Fesseln, die mich ans Gangspill banden, zu verstärken, und sah bald meine Kameraden in gleicher Absicht beschäftigt. Die Nacht war so finster wie nur möglich, das entsetzliche Kreischen, die tosende Verwirrung um uns her spotteten jeder Beschreibung. Unser Verdeck lag in Meereshöhe; besser gesagt, es umringte uns ein hoch getürmter Schaumkamm, von dem jeden Augenblick ein Teil auf uns herabströmte. Es ist nicht zu viel behauptet: unsere Köpfe waren kaum zwei bis drei Sekunden richtig außer Wasser. Obwohl wir dicht beisammen lagen, so konnte doch

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