Gesammelte Werke
keiner den anderen sehen noch irgendeinen Teil des Schiffes wahrnehmen, auf dem wir so toll herumgewirbelt wurden. Von Zeit zu Zeit riefen wir einander zu, indem wir auf diese Weise die Hoffnung zu erfrischen, den Mut zu stärken und denen Trost zu spenden suchten, die seiner am meisten bedurften. Der Schwächezustand meines Freundes erweckte unser aller Teilnahme; da er mit seinem zerfleischten Arm sich schwerlich sehr fest hatte anschnallen können, erwarteten wir jeden Moment, ihn über Bord gehen zu sehen; doch war es unmöglich, ihm irgendwie Beistand zu leisten. Zum Glück war seine Lage etwas mehr gesichert als die der Übrigen; sein Oberkörper lag unter einem Teil des zertrümmerten Gangspills, und so wurde die Heftigkeit der Seen, die sich über ihn ergossen, einigermaßen abgeschwächt. In einer anderen Lage als der, in die ihn, nachdem er dem Ärgsten ausgesetzt gewesen war, der Zufall gebracht hatte, hätte er ohne Zweifel den neuen Tag nicht erlebt. Infolge der starken Neigung der Brigg konnten wir nicht so leicht heruntergeschwemmt werden, wie es sonst der Fall gewesen wäre. Der Hiel war, wie ich schon sagte, an Backbord, und das halbe Verdeck lag beständig unter Wasser. Daher hielt die Schiffswand die über Steuerbord hereinbrechenden Seen auf, so dass sie uns nur geteilt erreichten, während wir flach auf unseren Gesichtern lagen, und die über Backbord kommenden Seen waren nicht imstande, uns aus unserer Fesselung herauszuspülen.
In dieser schaudervollen Lage blieben wir bis zum Anbruch des Tages, der uns die Schrecknisse um uns her aufs Deutlichste zeigte. Die Brigg war nur noch ein Stück Holz, ein Spiel der übermütigen Wellen; der Sturm schien eher noch zu wachsen. Es war ein vollständiger Orkan, und es schien auf Erden keine Rettung mehr geben zu wollen.
Mehrere Stunden lang klammerten wir uns schweigend fest, jeden Augenblick gewärtig, dass entweder unsere Riemen und Seile zerreißen, die Reste des Gangspills über Bord gehen würden oder dass eine der titanischen Seen, die uns auf allen Seiten umbrüllten, den Rumpf so tief unter Wasser drücken möchte, dass wir vor seinem Wiederauftauchen ertrunken wären. Durch die Gnade Gottes wurden wir jedoch vor diesen unmittelbar drohenden Schrecken bewahrt, und gegen Mittag stärkte uns der Schein der lieben Sonne. Bald darauf empfanden wir ein merkliches Nachlassen des Sturmes, und jetzt endlich, das erste Mal seit dem vorausgegangenen Abend, tat Augustus den Mund auf; er fragte Peters, der ihm zunächst lag, ob er glaube, dass Rettung noch möglich sei. Zuerst erfolgte keine Antwort, wir alle dachten schon, der Mestize sei ertrunken; plötzlich aber begann er zu unserer großen Freude zu sprechen, obwohl in sehr mattem Ton: er habe furchtbare Schmerzen, die Fessel schneide ihm gerade in den Magen ein, und wenn er sie nicht lockern könnte, müsste er sterben, es sei ihm unmöglich, seine Qualen noch länger zu ertragen. Das betrübte uns sehr; denn es war völlig unnütz, an eine Hilfeleistung zu denken, solange die Seen in dieser Stärke über uns hinweggingen. Wir beschworen ihn, seine Leiden heldenmütig zu ertragen, und versprachen, ihm bei der ersten Gelegenheit Erleichterung zu verschaffen. Er antwortete, es werde bald zu spät sein; es werde alles vorüber sein, bevor wir ihm helfen könnten. Er stöhnte noch eine Zeitlang und lag dann einige Minuten still, so dass wir annahmen, er sei tot.
Als der Abend herannahte, war die See so stark gefallen, dass etwa innerhalb fünf Minuten immer nur eine Welle von der Windseite her den Rumpf überspülte, und der Sturm hatte nachgelassen, obgleich er noch immer scharf genug blies. Seit mehreren Stunden hatte ich keinen meiner Gefährten sprechen hören, und ich rief jetzt nach Augustus. Er antwortete mit so schwacher Stimme, dass ich ihn nicht verstehen konnte. Dann redete ich Peters und Parker an; keiner von beiden gab eine Antwort.
Kurze Zeit nachher verfiel ich in eine Art Bewusstlosigkeit; die lieblichsten Bilder entstanden in meiner Phantasie: windbewegte Baumkronen, wogende Felder reifenden Getreides, Aufzüge von anmutigen Tänzerinnen, Reitertruppen und andere Gebilde. Ich erinnere mich jetzt, dass in allem, was ich erblickte, der leitende Gedanke Bewegung war. So träumte ich niemals von einem festwurzelnden Gegenstand, von einem Haus oder Berg oder dergleichen, sondern Windmühlen, Schiffe, große Vögel, Luftballons, Reiter, Wagen, die wahnsinnig schnell fuhren, und ähnliche
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