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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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pariserischer Geistesgegenwart ging sie sogleich auf dieses Spiel ein und hielt mir zum Gruß die berückende kleine Hand entgegen. Der Lakai zog sich sofort in den Hintergrund zurück, und nun sprachen wir mit überströmend vollen Herzen lang und rückhaltlos von unserer Liebe.
    Da Madame Lalande das Englische noch schlechter sprach, als sie es schrieb, so führten wir unser Gespräch notgedrungen auf Französisch. In dieser betörenden und leidenschaftlichen Sprache ließ ich meinen ungestümen Gefühlen freien Lauf und suchte sie mit aller nur verfügbaren Beredsamkeit zu einer sofortigen Heirat zu bestimmen.
    Sie lächelte über diese Ungeduld. Sie erwähnte den zu wahrenden Anstand, diesen Popanz, der so viele schon der Seligkeit beraubte, bis die Gelegenheit verpasst war. Sie sagte, ich hätte höchst unklugerweise meine Freunde wissen lassen, dass ich ihre Bekanntschaft suchte – dass ich sie also nicht besaß – somit war keine Möglichkeit, das Datum unseres Bekanntwerdens zu verheimlichen. Und dann wies sie errötend darauf hin, wie äußerst jung dieses Datum sei. Sofort zu heiraten, wäre unangebracht – wäre gegen die gute Sitte – wäre outré! All das sagte sie mit einer reizenden Naivität, die mich entzückte, während sie mich gleichzeitig betrübte und überzeugte. Sie ging sogar so weit, mich lachend der Überstürzung, der Unvorsichtigkeit zu zeihen. Sie bat mich, zu bedenken, dass ich wirklich nicht einmal wüsste, wer sie sei – wie ihre Verhältnisse seien, was für Beziehungen und welche gesellschaftliche Stellung sie habe. Sie bat mich, aber mit einem Seufzer, meinen Antrag zu überdenken, und nannte meine Liebe Verblendung – einen leichtsinnigen Streich – eine Augenblickslaune – eher ein grundloses und schwankendes Spiel meiner Phantasie als eine Herzensfrage. Diese Dinge brachte sie vor, während das sanfte Zwielicht uns dunkler und dunkler umschattete, und dann warf sie mit einem zarten Druck ihrer feenhaften Hand in einem einzigen süßen Augenblick all das Zeug, das sie zum Beweis angeführt hatte, wieder über den Haufen.
    Ich erwiderte, so gut ich konnte – wie nur ein ehrlich Liebender es kann. Ich sprach lange und eindringlich von meiner Ergebenheit, meiner Leidenschaft, von ihrer außerordentlichen Schönheit und meiner begeisterten Bewunderung. Zum Schluss verweilte ich mit überzeugender Gewalt bei den Gefahren, die den Lauf der Liebe umgeben, jenen Strom der wahren Liebe, der niemals sanft dahinfließt, und leitete davon die naheliegende Gefahr ab, dass dieser Lauf unnötig auf seinem Weg gehemmt werde.
    Das letzte Argument schien endlich ihren strengen Entschluss zu mildern. Sie gab nach; da sei aber noch ein Hemmnis, sagte sie, das ich nach ihrer Überzeugung nicht genügend beachtet hätte. Es sei ein heikler Punkt – für eine Frau besonders schwer vorzubringen; wenn sie ihn erwähne, so müsse sie ihrer Feinfühligkeit ein Opfer auferlegen – dennoch, für mich solle jedes Opfer gebracht werden. Sie wies auf den Altersunterschied hin. Ob mir bewusst sei – ob mir die wahre Natur solchen Abstandes zwischen uns voll bewusst sei? Dass das Alter des Mannes das der Frau um ein paar Jahre – um fünfzehn bis zwanzig sogar – übersteige, werde von der Welt für zulässig gehalten und sogar für richtig; sie habe aber stets die Ansicht vertreten, dass niemals die Frau den Gatten an Jahren übertreffen dürfe. Ein derart unnatürliches Verhältnis sei allzu oft Ursache eines unglücklichen Daseins. Nun wisse sie, dass mein Alter nicht mehr als zweiundzwanzig Jahre betrage, ich aber wisse dagegen wohl nicht, dass die Lebensjahre meiner Eugenie diese Zahl ganz beträchtlich überstiegen.
    Auf alledem lag ein Adel der Seele, eine Würde und Redlichkeit, die mich entzückten – bezauberten – mich in ewige Fesseln schlugen. Ich konnte meine ungeheure Ergriffenheit kaum meistern.
    »Meine süßeste Eugenie«, rief ich, »was soll das alles, was Sie da reden? Sie sind einige Jahre älter als ich. Doch was ist dabei? Die Gebräuche der Welt sind ebenso viele konventionelle Torheiten. Wer so liebt wie wir – ist dem ein Jahr mehr als eine Stunde? Ich bin zweiundzwanzig, sagen Sie; zugegeben. Sie könnten mir aber wirklich gleich dreiundzwanzig zuerkennen. Sie nun, meine liebste Eugenie, können nicht mehr zählen als – können nicht mehr zählen als – nicht mehr als – als – als – als –«
    Hier machte ich eine Pause, in der Erwartung, dass Madame Lalande

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