Gesammelte Werke
meine erregbare Seele ausübte.
Nachdem der schöne Gegenstand meiner Leidenschaft mich in solcher Weise wohl eine Viertelstunde lang in Augenschein genommen hatte, wandte sie sich an ihren Begleiter, und während sie sprach, erkannte ich deutlich an den Blicken beider, dass ihr Gespräch sich auf mich bezog.
Als es beendet war, wandte Madame Lalande sich wiederum der Bühne zu und schien für wenige Minuten in die Vorstellung vertieft. Nach Ablauf dieser Frist jedoch wurde ich von Neuem dadurch in äußerste Spannung versetzt, dass sie wiederum das ihr zur Seite hängende Lorgnon ergriff, mich wie vorher eingehend betrachtete und mich, ungeachtet des erneuten Gemurmels, mit der nämlichen Überlegenheit, die mich vorhin entzückt und verwirrt hatte, von Kopf zu Fuß musterte.
Dieses ungewöhnliche Benehmen, das mich geradezu in ein Fieber von Begeisterung stürzte – in eine förmliche Liebesraserei –, diente eher zu meiner Ermutigung als Abkühlung. In der verzückten Inbrunst meiner Hingabe vergaß ich alles, bis auf die Anwesenheit und hoheitsvolle Lieblichkeit der Erscheinung, die sich meinen Blicken bot. Ich ergriff daher die Gelegenheit, als ich das Publikum so völlig in die Oper vertieft wähnen konnte, den Blick Madame Lalandes festzuhalten und eine leichte, aber nicht zu missdeutende Verneigung zu machen.
Sie errötete tief – wandte dann den Blick ab – sah sich darauf langsam und vorsichtig um, offenbar, um festzustellen, ob meine rasche Tat bemerkt worden war – und neigte sich dann zu dem Herrn an ihrer Seite.
Ich fühlte nun mit brennender Scham das Unangebrachte meiner Handlungsweise und erwartete nichts Geringeres als sofortige Bloßstellung, während mir gleichzeitig der Gedanke an ein Pistolenduell am nächsten Morgen ungemütlich durch den Kopf schoss. Ich fühlte mich aber bald der Besorgnis enthoben, als ich sah, dass die Dame dem Herrn nur wortlos den Theaterzettel reichte. Doch wird sich der Leser nur eine schwache Vorstellung meiner Verblüffung machen können – meiner ungeheuren Bestürzung, der maßlosen, tollen Verwirrung in Herz und Seele –, als sie gleich darauf, nach einem verstohlenen Blick in die Runde, ihre strahlenden Augen voll und fest in meine senkte und dann mit einem leisen Lächeln, das eine leuchtende Reihe ihrer Perlenzähne enthüllte, zwei Mal deutlich, bestimmt und in nicht misszuverstehender Bejahung mit dem Kopf nickte.
Es ist natürlich überflüssig, bei meinem Glück – meiner Verzückung – meiner grenzenlos überströmenden Herzensfreude zu verweilen. Wenn je ein Mann aus Übermaß an Glück verzückt war, so war ich es in jenem Augenblick. Ich liebte. Es war meine erste Liebe – ich fühlte es. Es war eine himmlische – eine unbeschreibliche Liebe. Es war die »Liebe auf den ersten Blick«, und sie war ebenso auf den ersten Blick gewürdigt und erwidert worden.
Jawohl, erwidert. Wie und wann hätte ich nur für einen Augenblick daran zweifeln sollen? Welche andere Deutung hätte ich wohl solchem Verhalten vonseiten einer so schönen, so reichen, so ersichtlich wohlerzogenen Dame in so hoher gesellschaftlicher Stellung geben sollen, die in jeder Hinsicht so achtenswert war, wie Madame Lalande es – das fühlte ich – sein musste? Ja, sie liebte mich – sie erwiderte die Ekstase meiner Liebe mit einer ebenso blinden Begeisterung – ebenso unwandelbar – ebenso unüberlegt – ebenso hingebungsvoll – und ebenso unbeherrscht wie ich in meiner Liebe! Diese köstlichen Phantasien und Schlussfolgerungen wurden jetzt aber durch das Fallen des Vorhangs unterbrochen. Das Publikum erhob sich, und sofort setzte der übliche Tumult ein. Ich ließ Talbot stehen und gab mir alle Mühe, in Madame Lalandes Nähe zu gelangen. Doch missglückte mir das infolge des Gedränges, und so gab ich die Jagd schließlich auf und lenkte meine Schritte heimwärts. Über das Missgeschick, das mir nicht vergönnt hatte, auch nur den Saum ihres Kleides zu berühren, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass ich von Talbot am folgenden Tag in aller Form bei ihr eingeführt werden sollte.
Dieser Tag kam endlich; das heißt, nach einer langen Nacht qualvoller Ungeduld dämmerte der Tag, und nun folgten schneckenlangsam trübe und zahllose Stunden, bis es eins wurde. Doch es heißt ja, »selbst Stambul hat ein Ende«, und so fand auch diese lange Frist ihre Grenze. Die Uhr schlug. Und als der Schlag verklungen war, betrat ich Talbots Wohnung und fragte nach
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