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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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mich mit der Angabe ihres wirklichen Alters unterbrechen würde. Eine Französin aber ist selten deutlich und hat auch immer auf eine verwirrende Frage eine schlagfertige und geistreiche Antwort bereit. Eugenie, die seit ein paar Augenblicken in ihrem Mieder etwas zu suchen schien, ließ gerade jetzt ein Miniaturbild zu Boden fallen, das ich sofort aufhob und ihr reichte.
    »Behalten Sie es!«, sagte sie mit ihrem bezauberndsten Lächeln. »Behalten Sie es um meinetwillen – die nur allzu geschmeichelt auf ihm dargestellt ist. Übrigens können Sie auf der Rückseite des Kleinods vielleicht die Aufklärung finden, die Sie zu suchen scheinen. Allerdings ist es inzwischen ziemlich dunkel geworden – Sie können es aber morgen früh nach Gefallen betrachten. Inzwischen wollen Sie mich heute Abend heimbegleiten. Meine Freunde kommen zu einem kleinen musikalischen Lever. Ich kann Ihnen auch einige gute Gesangsvorträge zusichern. Wir Franzosen sind lange nicht so steif wie ihr Amerikaner; ich kann Sie dabei unschwer als eine alte Bekanntschaft bei mir einschmuggeln.«
    Damit nahm sie meinen Arm, und ich geleitete sie heim. Das Haus war recht schön und, wie ich glaube, geschmackvoll eingerichtet. Über diesen Punkt kann ich allerdings kaum ein Urteil abgeben, denn als wir ankamen, wurde es gerade dunkel, und in guten amerikanischen Häusern wird in der heißen Sommerzeit selten zu dieser angenehmsten Tagesstunde Licht gemacht. Gewiss, etwa eine Stunde nach meiner Ankunft wurde in dem eigentlichen Gesellschaftsraum eine einzelne gedämpfte große Lampe erhellt, und dieser Raum war, wie ich nun sehen konnte, mit ungewöhnlichem Geschmack und sogar prunkvoll eingerichtet; zwei andere Gemächer der Zimmerflucht aber, in denen sich die Gesellschaft in der Hauptsache aufhielt, blieben den ganzen Abend über in wohltuendem Halbdunkel. Dies ist ein löblicher Brauch, seinen Gästen wenigstens zwischen Licht und Schatten die Wahl zu lassen – ein Brauch, den unsere Freunde überm Wasser unverzüglich übernehmen sollten.
    Der Abend, den ich da verbrachte, war fraglos der köstlichste meines Lebens. Madame Lalande überschätzte die musikalischen Fähigkeiten ihrer Freunde nicht, und einen so guten Gesang wie hier hatte ich außer in Wien nirgends in einem häuslichen Kreis vernommen. Es waren viele vortreffliche Musiker da. Der Gesang aber wurde meist von Damen bestritten, und es war keine unter ihnen, die nicht wenigstens Gutes gegeben hätte. Schließlich, als ein hartnäckiger Ruf nach »Madame Lalande« erscholl, erhob sie sich ohne Zieren und Zögern von der Chaiselongue, auf der sie an meiner Seite gesessen hatte, und begab sich in Begleitung einiger Herren und ihrer Freundin aus der Oper zum Klavier im großen Gesellschaftszimmer. Ich würde sie selbst dorthin begleitet haben, bedachte aber, dass ich unter den Umständen, unter denen ich in das Haus eingeführt worden war, besser unbeachtet blieb, wo ich mich befand. Ich wurde so der Freude beraubt, sie singen zu sehen, nicht aber, sie zu hören.
    Der Eindruck, den sie auf die Gesellschaft machte, war wie elektrisierend; der Eindruck auf mich aber war mehr als das. Ich weiß nicht, wie ich ihn richtig beschreiben soll. Zweifellos erwuchs er zum Teil dem Gefühl der Liebe, das mich durchdrang; in der Hauptsache aber musste er meiner Überzeugung nach doch auf die wunderbare Gemütstiefe der Sängerin zurückgeführt werden. Keine Kunst könnte eine Arie oder ein Rezitativ mit leidenschaftlicherem Ausdruck wiedergeben, als es ihre tat. Ihre Darbietung der Romanze aus »Othello« – der Ton, mit dem sie die Worte »Sul mio sasso« aus dem »Capuletti« gab – klingt mir noch jetzt in den Ohren. Ihre tiefen Töne waren geradezu übernatürlich. Ihre Stimme umfasste drei volle Oktaven, vom D des Kontra-Alt bis zum D des oberen Sopran; sie hätte ausgereicht, um das Theater San Carlos zu füllen, und bewältigte mit spielender Sicherheit jede schwere Passage der Gesangskomposition – Tonleitern hinauf und hinunter, Kadenzen oder »fiorituri«. Im Finale der »Somnambula« hatte sie eine ganz besondere Wirkung mit den Worten
    »Ah! non giunge uman pensiero
    Al contento ond’ io son piena.«
    Hier – in einer Nachahmung der Malibran – änderte sie den Originalsatz Bellinis dahin ab, dass sie die Stimme bis zum Tenor G hinabsteigen ließ, um dann in plötzlichem Übergang das dreigestrichene G zu bringen. Sie übersprang also einen Raum von zwei Oktaven.
    Nach dieser

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