Gesammelte Werke
drei Herren, die ich kurz nach dem Verlassen von Talbots Wohnung ansprach, leicht erklären, ebenso ihre Bezugnahme auf Ninon de l’Enclos. Ich hatte keine Gelegenheit, Madame Lalande bei Tageslicht aus der Nähe zu sehen, und bei ihrer musikalischen Soiree hinderte mich mein alberner Verzicht auf helfende Augengläser, ihr Alter herauszufinden. Als man »Madame Lalande« zu singen bat, war die jüngere Dame gemeint, und sie war es, die sich erhob, um dem Rufe zu folgen; meine Ururgroßmutter aber erhob sich gleichzeitig, um die Täuschung durchzuführen, und begleitete sie ans Piano im großen Gesellschaftszimmer. Hätte ich mich entschlossen, sie dorthin zu begleiten, so hätte sie mir nahegelegt, es sei ratsamer, zu bleiben, wo ich war; meine eigene Vorsicht machte das aber überflüssig. Der Gesang, den ich so tief bewunderte und der meinen Eindruck von der Jugend meiner Angebeteten so befestigte, entströmte dem Mund der Madame Stephanie Lalande. Das Augenglas wurde mir überreicht, um dem Spott die Schmach hinzuzufügen – der hohnvollen Täuschung noch einen Stachel zu geben. Das Geschenk bot Gelegenheit zu einer Vorlesung über Zuneigung, mit der man mich besonders erbaute. Es ist recht überflüssig, zu sagen, dass die Gläser des Instruments, wie die alte Dame sie benutzte, gegen ein Paar meinen Jahren besser passende ausgetauscht worden waren. Tatsächlich passten sie mir vorzüglich.
Der Geistliche, der nur so tat, als knüpfe er die fatale Schlinge, war ein guter Freund Talbots und kein Priester. Jedenfalls war er ein gewandter Betrüger, und als er das Unterkleid des Geistlichen mit einem Überrock vertauscht hatte, kutschierte er mit seiner Mähre das »glückliche Paar« zur Stadt hinaus. Talbot nahm neben ihm Platz. Die beiden Schurken hatten sich also mitgeschmuggelt und ergötzten sich daran, durch ein halboffenes Fenster des Gastzimmers die Lösung des Dramas mit anzusehen. Ich werde wohl genötigt sein, sie alle beide zu fordern.
Immerhin, ich bin nicht der Gatte meiner Ururgroßmutter, und das ist ein Bewusstsein, das sehr befreiend wirkt; aber ich bin der Gatte von Madame Lalande – von Madame Stephanie Lalande –, denn meine gute alte Verwandte, die mich zu ihrem einzigen Erben nach ihrem Tod ernannt hat – wenn sie je stirbt –, hat sich bemüht, aus uns ein Paar zu machen. Zum Schluss: Ich bin ein für allemal fertig mit »billets-doux« und lasse mich nie mehr ohne Brille blicken.
Eine Erzählung aus den Ragged Mountains
Gegen Ende des Jahres 1827 während meines Aufenthalts in der Nähe von Charlottesville in Virginia machte ich zufällig die Bekanntschaft eines Herrn August Bedloe. Dieser junge Mann war in jeder Hinsicht ein höchst seltsamer Mensch und erweckte in mir ein tiefes Interesse, eine unbeschreibliche Neugier. Er war mir nicht allein in psychischer, sondern auch in physischer Beziehung ein Rätsel. Über seine Abstammung konnte ich keine befriedigende Auskunft erhalten. Woher er kam, konnte ich nie mit Sicherheit feststellen. Und selbst was sein Alter anbetraf, so gab es – trotzdem ich ihn einen jungen Mann genannt habe – manches, was mich nicht wenig verwirrte. Gewiss, er schien jung zu sein – und er betonte gern seine Jugend –, dennoch gab es Augenblicke, da es mich wenig Mühe kostete, mir einzubilden, er sei an hundert Jahre alt. Aber nichts an ihm war so sonderbar wie seine persönliche Erscheinung. Er war auffallend hoch gewachsen und mager. Seine Haltung war gebückt. Seine Gliedmaßen waren außerordentlich lang und dünn; seine Stirn war breit und niedrig, seine Hautfarbe vollkommen blutlos. Sein Mund war groß und sehr beweglich, und seine Zähne waren kräftig, standen jedoch so unregelmäßig und in so großen Zwischenräumen, wie ich das noch bei keinem anderen Menschen bemerkt hatte. Sein Lächeln aber war keineswegs unangenehm, wie man vielleicht hätte annehmen können, doch blieb es sich immer gleich. Es war voll tiefster Melancholie, voll gleichmäßiger, immerwährender Trauer. Seine Augen waren ungewöhnlich groß und rund, wie die einer Katze; und wie bei einer Katze erweiterten oder verengten sich die Pupillen je nach der Lichtstärke, die sie traf. In Augenblicken der Erregung trat in seine Augen ein fast unbegreiflicher Glanz, ein Leuchten und Strahlen ging von ihnen aus wie von einer selbständigen Lichtquelle, sie warfen nicht einen empfangenen Glanz zurück, sondern erstrahlten in eigenem, lebendigem Feuer, wie das Licht einer Kerze
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